In unserer Reihe „Rassebeschreibungen ungeschönt“ möchten wir dir einige beliebte Hunderassen vorstellen. Wichtig ist zu wissen, dass eine Rassebeschreibung ein von Menschen erdachtes Idealbild darstellt. Das heißt, dass nicht jeder Rassehund seiner Rassebeschreibung entspricht. Jeder Hund ist ein Individuum. Außerdem solltest du wissen, dass manche Rasseeigenschaften auf dem Papier zwar ganz nett klingen, in Wirklichkeit aber je nach Lebenssituation des Hundes zu unerwünschten Verhaltensweisen führen können. Hey Fiffi-Trainerin Carolin Hoffmann hat da mal was zu „ihrer“ Rasse, dem Portugiesischen Wasserhund, zusammengefasst.
Der Portugiesische Wasserhund (Cão de Agua português) stammt ursprünglich aus der Algarve, Portugal, und diente den Fischern dort als unverzichtbarer Helfer: Der Portie zeigte Fischschwärme und kaputte Netze an, tauchte nach verlorenen Gegenständen und Fischen, sorgte für die Kommunikation zwischen den Booten und dem Festland und bewachte und verteidigte die Güter. Als Lohn, so heißt es, stand ihm die Hälfte eines Fanges zu. Mit der Industrialisierung wurde der Portie arbeitslos und starb fast aus. Seit einiger Zeit erfreut er sich als Familienhund neu erwachter Beliebtheit. Ein wahrer Hype brach aus, als der ehemalige Präsident der USA, Barack Obama, mit dem Portugiesischen Wasserhund Bo aufwartete.
Das Aussehen
Der Portie ist mittelgroß, kräftig, von brackenartiger Statur; es gibt ihn ein- oder mehrfarbig in schwarz, braun und weiß; sein Haarkleid ist in gewellt (wavy) oder gelockt (curly) zu haben, Unterwolle besitzt er nicht. Er haart nicht und gilt als geeignet für Allergiker. Als Cut trägt er traditionell die gewöhnungsbedürftige „Löwenschur“ oder aber unauffälliger den sogenannten „Working Retriever Clip”.
Die Eigenschaften des Portugiesischen Wasserhunds
Der VDH beschreibt das Verhalten des Porties so: „Der Cão de Agua portugués hat ein heftiges Temperament, ist eigenwillig, stolz, streitsüchtig, genügsam und unermüdlich. Sein Ausdruck ist streng, sein Blick durchdringend und aufmerksam. Das Sehvermögen ist sehr ausgeprägt und der Geruchsinn bemerkenswert. Der Cão de Agua portugués ist außergewöhnlich intelligent und versteht und gehorcht freudig allen Befehlen seines Meisters.“ In manchen Quellen ist zu lesen, dass der Portugiesische Wasserhund nicht zum Bellen neigt, nicht jagt und sich gerne erhöhte Liegeplätze sucht und sein halbes Leben lang auf zwei Beinen herumläuft.
Sein Temperament
Wahr ist, dass Portugiesische Wasserhunde ganz sicher keine Schlaftabletten sind und zu den ausgesprochen bewegungsfreudigen und temperamentvollen Hunden gehören. Dieses Temperament reicht häufig bis hin zu einer sehr hohen Reaktivität, einer niedrigen Reizschwelle und einer äußerst schnellen Erregbarkeit. Insofern ist es nicht nur wichtig, einem Portugiesischen Wasserhund genügend Bewegung und geistige Auslastung zu gönnen, sondern vor allem auch ausreichend Entspannung und Ruhe – sonst kann der Schuss auch locker nach hinten gehen. Ich kenne eine Reihe schnell erregbarer Cãos, die Probleme damit haben, von selber wieder herunterzufahren, was für alle Beteiligten ausgesprochen anstrengend werden kann. Zumal der äußerst maulorientierte Cão zum Stressablassen gerne auch die Zähne einsetzt. Über Entspannungsmethoden aber kann man ihnen gut helfen, sich zu regulieren und nicht zu Godzillas zu mutieren.
Seine Intelligenz
Porties sind in der Tat sehr lernwillig. Dass sie außergewöhnlich intelligent sind, halte ich für eine romantisierende Übertreibung. Meine Hunde sind bis heute (zum Glück) zu dumm dafür, eine angelehnte Tür von sich aus aufzustupsen, obwohl sie eine moderne Erziehung genießen, der man nachsagt, dass sie die Kreativität fördern würde… Aber sie arbeiten gerne und dies auch unermüdlich: Ob Tricksen, Alltagstrainingsaufgaben, Dummyarbeit, Suchspiele, Mantrailing, Agility, Apportieren – ganz egal! Hauptsache sie dürfen etwas tun, dann sind sie tatsächlich glücklich und zufrieden – WENN man sie dann auch rechtzeitig wieder bremst, denn ansonsten werden sie so unleidlich wie überdrehte Kinder.
„Eigenwillig, stolz, streitsüchtig“
Was genau mit „eigenwillig, stolz, streitsüchtig“ gemeint ist: Ich habe KEINE Ahnung. Dies ist wieder einer dieser typischen, stark vermenschlichenden Wortlaute, wie sie leider immer noch häufig in Rassebeschreibungen zu lesen sind. Es ist wahr: Ihre aufrechte Statur mit hoch getragener Rute erscheint aus menschlichem Blickwinkel „stolz“ und die Mimik mancher Porties wirkt zeitweilig sehr streng, fast mürrisch. Ich stelle aber eher fest, dass je weniger Spaß und Freude in einer Angelegenheit zu stecken scheint, man dem Portie dies – so wie auch den gegenteiligen Fall von Ausgelassenheit und Freude – deutlich ansehen kann. Streitsüchtigkeit kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich denke, hier kommt es vor allem darauf an, welchen Umgang der Hund mit anderen Hunden gelernt und welche Lernerfahrungen er gemacht hat. Ich erlebe Porties durchaus als sehr soziale Genossen, die gerne mit anderen Hunden interagieren, wobei es auch hier aber wieder deutliche Unterschiede in der Ausprägung gibt.
Aversive Erziehungsmethoden? Besser nicht
Wer Portugiesischen Wasserhunden mit aversiven Erziehungsmethoden kommt, wird schnell feststellen, dass sie gut und gerne die Zusammenarbeit einstellen. Das ist das, was in der Rassebeschreibung möglicherweise vermenschlichend mit „stur“ bezeichnet wird. Wer Cãos über positive Verstärkung erzieht, wird zu jeder Tageszeit schnelle, begeisterungsfähige, hoch motivierte Hunde erleben. Sie werden voller Begeisterung mitmachen und mehr einfordern. Auf Druck jedoch reagieren sie äußerst sensibel und widerwillig. Druck wird durchaus auch gerne mit Gegendruck beantwortet. Und das kann dann auch massiver ausfallen. Ich kenne einige Porties, die ihre Zähne zum Einsatz gebracht haben, um Distanz einzufordern. Ich schätze aber, dass dies für sehr viele Rassen gilt und nicht nur dem Portugiesischen Wasserhund zu eigen ist.
Der Portugiesische Wasserhund früher und heute
Ich denke, heutzutage gibt es den ursprünglichen Portie längst nicht mehr. Das Spektrum ihrer Eigenschaften scheint heute eher enorm breit: Die einen bellen, die anderen sind stumm wie Fische. Die einen jagen begeistert den Rehen hinterher, die anderen schert eine Fährte überhaupt nicht. Untrainierte Porties springen Menschen an, trainierte tun dies nicht; dies ist nicht genetisch disponiert. Die einen sind begeisterte Schnüffler, die anderen verfolgen lieber mit den Augen. Einige sind ausdauernde Hochleistungsschwimmer, die anderen machen gerade mal die Füße und den Unterboden nass und halten Schwimmsport für etwas völlig Überbewertetes. Selbst dann noch, wenn man den See direkt vor der Tür hat. Doch eben hier stellt sich mir die Frage: Was ist Genetik, was ist Epigenetik, Umwelt und Erziehung? Wo ist das Huhn, wo das Ei? Meine beiden Cãos schwimmen nicht wirklich gerne. Womöglich weil Frauchen schwimmen hasst und auch nur soweit ins Wasser geht, wie sie stehen kann? Dafür sind sie hervorragende Bergwanderer in jeder Art Gelände – weil ich auch gerne und viel bergwandern gehe? Als Fischerhunde jedenfalls wären sie definitiv den Fischen zum Fraß vorgeworfen worden. Einen gewissen Bewacherinstinkt würde ich ihnen hingegen nicht absprechen. Fremde an Haus und Garten werden durchaus angezeigt. Und Sofas, Bänke und Tische sind tatsächlich heiß begehrte Liegeplätze.
Gute Zucht als Basis
Wichtig ist auch ganz sicher – wie bei allen Hunden! – die Frage nach der Sozialisierung in Welpenzeiten: Was haben die Hunde bereits in angemessener Dosis positiv als Babies kennenlernen dürfen? Wie viel Ruhe und Entspannung wurde ihnen zuteil? Wie entspannt war die Mutterhündin? Was nützen wunderschöne VDH-konforme Elterntiere, wenn diese randvoll sind mit dem Stresshormon Cortisol und dann eben auch vermehrt reaktive, hysterische, schwer händelbare Nachkommen zeugen?
Unter den Porties gibt es – wie bei allen anderen Rassen auch – mutige und ängstliche, selbstsichere und unsichere, offensive und defensive, reaktive und gechillte Vertreter ihrer Rasse. Bei dieser eher als „aufgeregt“ auftretenden Rasse würde ich persönlich daher stark Ausschau halten nach den gemäßigteren Ablegern: Diese bilden sicherlich eine gute Basis für ein freudvolles, entspanntes Zusammenleben.
Portugiesischer Wasserhund: Für wen geeignet?
Ein Anfängerhund ist der Portugiesische Wasserhund in meinen Augen nicht. Es sei denn, man hat das unglaubliche Glück, eben dieses ruhigere, robuste, nachsichtigere Exemplar zu erwischen. Porties sind eindeutig tolle Allrounder, allerdings nur bedingt nur für kinderreiche Familien, denn dazu fehlt häufig die Gelassenheit und Stressresistenz. Sie sind eher geeignet für aktive, sportliche Menschen, die sich gerne bewegen und die bereit sind, Zeit und Geld in eine kluge Ausbildung des Hundes zu investieren: Denn ohne körperliche und geistige Auslastung und eine konsequente (hier definitiv nicht gemeint im Sinne von „streng“, sondern im Sinne von „Einhaltung aufgestellter Regeln“), vorausschauende Erziehung über positive Verstärkung kann einiges gewaltig in die Hose gehen. Portugiesische Wasserhunde sind tolle Hunde und beste, anhängliche, verschmuste Buddies – wenn sie in die richtigen, liebevollen, geduldigen Hände geraten, die auf Teamplaying setzen und unbedingt auf einen auf die Bedürfnisse des Individuums angepassten Aktions- und intensiven Entspannungsrhythmus.
Filme und Artikel zum Portugiesischen Wasserhund
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