Leinenaggression, Teil 1: Wie wird ein Hund zum Leinenrambo?

Du hast bestimmt schon mal eine Szene beobachten können, bei der ein Hund beim Anblick eines Artgenossen ausrastet, in die Leine springt, knurrt, bellt und sich aufführt, wie ein wildes Tier. Als Besitzer eines Hundes, der scheinbar seine Artgenossen am liebsten mit Haut und Fell verspeisen möchte, hat man es oft schwer und gerät sehr leicht unter den Druck von außen. Andere Hundehalter (und alle, die das Theater mitbekommen) werfen einem mitleidige bis empörte Blicke zu, wechseln die Straßenseite schon von weitem und schütteln mit dem Kopf. Hey-Fiffi-Trainerin Daniela Maletzki möchte ein wenig Verständnis schaffen.

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Stell dir vor, du hättest einen Leinenrambo: Du wirst beschimpft und dein Hund bekommt schnell den Stempel aufgedrückt, er wäre bösartig und gefährlich. Deine Nachbarn reden auch schon und aus der Familie möchte keiner mehr freiwillig mit dem Hund vor die Tür gehen. Von allen Seiten musst du dir Dinge anhören wie: „Du hast deinen Hund nicht im Griff“ oder „Der ist schlecht erzogen“ oder „Du musst nur mal richtig durchgreifen, dann ist das Problem gelöst!!“ Dein Gassi wird zum Spießrutenlauf und bald kennst du sämtliche Trampelpfade weit ab des Weges, die besten Verstecke hinter Bäumen und Büschen und gehst jeder Begegnungen mit anderen Hunden aus dem Weg. Du bist selbst peinlich berührt und fühlst dich hilflos aufgrund des Verhaltens deines Hundes. So hattest du dir den gemütlichen Spaziergang nach Feierabend nicht vorgestellt.

Wann ist dein Hund ein Leinenrambo?

Es gibt Hunde, bei denen beschränken sich diese Ausraster nur auf einen oder zwei bestimmte andere Hunde (den Erzfeind) oder Hunde bestimmten Aussehens (groß und schwarz, bestimmte Rassen) oder desselben Geschlechts (Lumpi mag halt keine anderen Rüden). Es gibt aber auch Hunde, die keinen großen Unterschied machen und erstmal jeden anderen Hund sprichwörtlich doof finden und dies auch lautstark kundtun. Viele dieser Hunde, die sich an der Leine wie wild gebärden, sind im Freilauf durchaus verträglich mit ihren Artgenossen, spielen gern und sind freundlich bis hin zu sogar eher schüchtern.
Wenn du einen Hund hast, der sich im Freilauf unproblematisch zeigt und nur an der Leine Rabatz macht (es gibt natürlich auch generell unverträgliche Hunde), dann gehörst du zu den Besitzern eines sogenannten leinenaggressiven Hundes, auch Leinenrambo oder Leinenpöbler genannt.

Mögliche Ursache: Schlechte oder mangelnde Erfahrungen

Die Ursachen für dieses Verhalten können vielfältig sein, Bösartigkeit zählt jedoch (entgegen der Meinung der Nachbarn von Gegenüber) nicht dazu. Vielleicht beruht das Verhalten deines Hundes auf unzureichenden oder falschen (Lern-)Erfahrungen. Bei sehr sensiblen Hunden kann tatsächlich eine schlechte Erfahrung ausreichen und sie leben zukünftig nach dem Motto “Angriff ist die beste Verteidigung“.
Was genau jetzt ein schlechtes Erlebnis ist, das ist von Hund zu Hund individuell sehr unterschiedlich. Eine schlechte Erfahrung heißt nicht immer „Der ist gebissen worden“. Eine schlechte Erfahrung kann schon darin bestehen, umgerannt worden zu sein, sich dabei sehr erschrocken und vielleicht auch noch wehgetan zu haben. Vielleicht liegt das Problem aber auch in einem Mangel an Erfahrung, zum Beispiel wenn dein Hund eher ländlich aufgewachsen ist, wenig andere Hunde gesehen hat. Wenn du dann in die Stadt ziehst, wo die Hundedichte größer und die Ausweichmöglichkeiten geringer sind, kann es zu Problemen kommen.

Mögliche Ursache: Frust

Auch wenn dein Hund Artgenossen gerne mag und gerne mit ihnen spielt, kann er unter gewissen Umständen eine Leinenaggression entwickeln. Hier sind häufig Welpen und junge Hunde betroffen, da speziell bei ihnen das Interesse am Kontakt und dem Spiel mit Artgenossen stark gefördert wird. Viele Halter mögen es, wenn ihr Welpe wann immer möglich Kontakt zu anderen Hunden aufnimmt. So ein Welpe lernt nicht, auch einmal ruhig an einem anderen Hunde vorbei zu gehen oder abzuwarten, bis der andere Hund vorbeigegangen ist. Sehr schnell wird der Welpe aber älter und größer und andere Hunde und deren Besitzer sind dann weniger tolerant. Der Welpe, der bis dato nicht gelernt, dass Kontakt nicht immer möglich ist und durch die Leine zunehmend daran gehindert wird, entwickelt eine Frustration die sich dann nicht selten irgendwann in Aggression ausweitet.

Mögliche Ursache: Schlecht geführte Welpen“spiel“stunden

Die Idee, deinen Welpen möglichst mit anderen Hunden zum Zwecke der Sozialisation zusammenzubringen, ist auch die Idee sogenannter Welpenspielstunden. Leider wird diese Idee, die grundsätzlich ja nicht schlecht ist, häufig schlecht umgesetzt. Es ist nicht wirklich zielführend, Welpen jeglicher Größe und Gewichtsklasse in großen Gruppen von sechs oder mehr Welpen “spielen“ zu lassen. Eine Gruppe so vieler wuseliger kleiner Hunde ist schwer zu kontrollieren und zu beaufsichtigen und so kommt es bei den Welpen sehr schnell zu ungünstigen Lernerfahrungen. Die großen, starken, selbstbewussten lernen, ihre Vorteile einzusetzen und werden nicht selten zu Mobbern. Die kleinen, sensiblen, ängstlichen machen die Erfahrung, dass sie Angst haben und sich aggressiv verteidigen müssen, um nicht unter die Räder zu kommen. Andere Hunde werden also schon in dieser Zeit mit Aufregung, Stress, Angst oder Frustration assoziiert. Das siehst du vor allem, wenn das Spiel beendet ist und der viel zu aufgeregte, junge Hund jetzt lernen soll. Die Resultate zeigen sich oft erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der Phase des Erwachsenwerdens, dann wenn man umgangssprachlich von Pubertät spricht, und werden gar nicht mehr mit der Welpenzeit in Verbindung gebracht. Ähnliches gilt für Hunde, die lange Zeit (häufig im Ausland) in nicht ausreichend durchdachter Rudelhaltung gelebt haben oder auf Hundewiesen und in Freilaufgebiete gebracht wurden, wo es Menschen gibt, die mit dem Lösen der Leine vom Hund der Meinung sind, dass der Hund ab sofort Narrenfreiheit hat und dass sie nicht mehr auf ihren Vierbeiner achten müssen.

Mögliche Ursache: Einschränkungen durch die Leine

Zusätzlich zu den bisherigen Erfahrungen deines Hundes, kommt noch der Umstand hinzu, dass dein Hund durch die Leine stark eingeschränkt ist. Dadurch ist höfliche Kommunikation nicht oder nur eingeschränkt möglich. Oft hat dein Hund vorher schon andere Strategien ausprobiert, um einen Kontakt mit Artgenossen zu vermeiden. Zum Beispiel könnte er versucht haben, dem entgegenkommenden Hund auszuweichen, einen Bogen zu laufen, stehen zu bleiben oder deeskalierend am Boden zu schnüffeln. Hätte er damit Erfolg gehabt, wäre keinerlei weitere Aggression notwendig gewesen. Aber: Diese Strategien haben aber nicht zum Erfolg geführt, weil sie durch die Leine und dich verhindert wurden, indem du deinen Hund zum Beispiel unbedingt „Bei Fuß“ führen musstest und damit frontal und ohne Ausweichmöglichkeit auf den anderen Hund zu. Und das passiert: Dein Hund lernt, dass er mit freundlichem, deeskalierendem Verhalten keinen Erfolg hat. Wenn er pöbelt, weicht der entgegenkommende Hundehalter mit seinem Hund aber aus. So hat dein Hund gelernt, dass Pöbelei zur Folge hat, dass er sicher und ohne weiter belästigt zu werden, am anderen Hund vorbeilaufen kann.

Mögliche Ursache: Menschliche Anspannung

Und gerade du als Besitzer, als das andere Ende der Leine, spielst natürlich auch eine Rolle. Stimmungsübertragung ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Stimmungsübertragung heißt, dass du und dein Hund eine ähnliche Stimmungslage habt, die sich gegenseitig verstärkt. Das heißt: Wenn du in Begegnungssituationen angespannt bist, ist es dein eh schon angespannter Hund umso mehr. Du zeigst deine Anspannung, indem du die Leine kürzer fasst, dein Körper sich anspannt, du die Luft anhältst und förmlich darauf wartest, dass dein Hund gleich wieder explodiert. Du fühlst dich in der Situation unwohl, zweifelst an deinem Hund und an dir selbst. Diese Unsicherheit, das Unwohlsein und die Unzufriedenheit werden auf den Spaziergängen zunehmend spürbar. Sie überträgt sich auf deinen Hund und belastet eure Beziehung. Es ist auch gar nicht selten, dass man es Hundebesitzer gibt, die Angst und/oder Vorurteile gegenüber fremden Hunden bzw. Hunden bestimmten Typs oder bestimmter Rassen hat. Bei der Begegnung mit eben diesen Rassen überträgt sich wiederum das eigene Unwohlsein auf den Hund.

Mögliche Ursache: Rassetypische Veranlagung

Von Leinenaggression sind häufig Hunde bestimmter Rassen (oder deren Mischlinge) vermehrt betroffen. Meist handelt es sich um die sogenannten „Gebrauchshunde“, also um Arbeitshunde. Das sind Hunde aus Rassen, die darauf gezüchtet wurden, eng mit dem Menschen zusammen zu arbeiten. Weniger Wert wird bei der Zucht aber darauf gelegt, dass sie sozial ihren Artgenossen gegenüber sind. Viele dieser Hunde hatten ursprünglich die Aufgabe zu bewachen und zu schützen. Das heißt, sie sind territorial veranlagt oder mussten furchtlos und kernig sein. Dazu gehören zum Beispiel Terrier. Dazu kommt, dass viele dieser Hunde leicht erregbar sind und ein sehr schnelles Reaktionsvermögen haben. Das bedeutet, dass sie sehr schnell lernen. Leider eben auch, wie man sich Artgenossen durch Aggression vom Leib hält.

Ein wenig Verständnis hilft beim Training

All dies sind Faktoren, aus denen heraus eine Leinenaggression entstehen kann oder die diese begünstigen. Natürlich wird nicht jeder Terrier, der eine Welpenspielstunde besucht hat, zum Leinenrambo! Aber egal, aus welchem Grund die Leinenaggression ursprünglich entstanden ist: Dein Hund zeigt sie, weil sie für ihn eine Strategie darstellt, mit einer Situation, in der er sich nicht gut fühlt und die negative Emotionen bei ihm auslöst, umzugehen. Und leider wird diesem Verhalten des Hundes nicht nur mit Unverständnis begegnet, sondern es wird auch immer noch mit unangebrachten, längst überholten und nicht zielführenden Methoden versucht, die Leinenaggression zu unterdrücken. Warum das nicht nur kontraproduktiv ist, sondern die Leinenaggression noch verschlimmern kann und im schlimmsten Fall sogar gefährlich ist, das erfahrt ihr im nächsten Artikel.

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Kommentare

7 Antworten zu „Leinenaggression, Teil 1: Wie wird ein Hund zum Leinenrambo?“

  1. Birgit carstensen

    Der text hat mir gut gefallen!

  2. Fleck Birgit

    Genau diese Erfahrung machen wir auch gerade, haben einen 6j.alten yorkshire aus schlechter Haltung geholt, bis jetzt haben auch 2hundetrainer nichts verbessern können…

    1. Liebe Birgit,

      dann schau dir doch mal unsere Videos zum Thema an oder wende dich an ein/e Trainer/in der Gemeinschaft „Trainieren statt dominieren“ :)

      Liebe Grüße,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

    2. Laura

      Hallo, meine Hündin ist der Typ „Erzfeinde“ , gemixt mit Territorialverhalten. Sprich, sie verbellt ganz bestimmte Hunde in der Nähe unserer Wohnung. Auch wenn wir z.B. in unserem Lieblingscafe sitzen und es kommt ein Hund vorbei, den sie nicht ausstehen kann. Da springt sie dann sogar auf, um den passierenden Hund anzugehen.

      Meine Frage wäre, wie kann man daran arbeiten? Dank „Click für Blick“ verlaufen die meisten unserer Hundebegegnungen sehr entspannt. Nur in besagten Situationen läuft es oft schief. Aufgrund unserer Wohnsituation passiert es öfter mal, dass ihre Feinde (meist sind es Hündinnen, oft Hunde mit einer sehr selbstbewussten Körperhaltung – aber es ist kein Muster zu erkennen), plötzlich auftauchen und der abstand dann sehr gering ist. Ich versuche vorrausschauend zu handeln und ggf. die Distanz zu vergrößern, wenn ich einen Hund sehe, wo ich weiß, es könnte kritisch werden. Ist der Hund wieder weiter weg oder entfernt sich, ist es meist kein Problem. Jedoch ist das im Alltag sehr schwer planbar. Gezielt Begegnungen üben ist quch schwer, weil es ja nicht alle Hunde betrifft. Ich müsste also eigentlich ein paar ihrer Hassobjekte für ein Training gewinnen können. Nur komme ich mit diesen Halter*innen eigentlich nicht ins Gespräch, da meine Hündin ja entweder ausrastet oder wir den Hund nur auf Entfernung sehen. Was kann ich da tun (auch wenn ich mir einen Trainer bestelle, bräuchte ich ja die Möglichkeit die Situation kontrolliert herbeizuführen). :-(
      Und ich habe den Eindruck sie lernt in jeder Situation, die aus dem Ruder läuft, dass es ihr gelungen ist, den Eindringling aus ihrem Revier zu verteidigen (das berühmte „Der Hund geht ja weiter, „weil“ ich gebellt habe).

      Vielen Dank für eure Antwort.

      1. Liebe Laura,

        vielen Dank für deine Frage.

        Im Endeffekt bleibt dir ein einziges Problem: Der richtige Abstand, den du nicht immer einhalten kannst. Der ist aber für das Training absolut essentiell. Suche dir Gassistrecken, die du besser überblicken kannst. Wenn du ins Café gehst, setz dich so hin, dass du einen Rundumblick hast oder nimmm deine Hündin nicht immer mit, wenn du Ruhe haben möchtest. Das ist absolut wichtig, um einen Fuß in die Tür zu kriegen.

        Und du übst einfach mit allen Hunden, die dir begegnen, nicht nur mit den Hassobjekten. Auch dann, wenn deine Hündin eigentlich ihnen gegenüber freundlich eingestellt ist. Die Regel: „Es kommt ein anderer Hund und es passiert etwas Tolles“ kannst du einfach auf alle Hunde anwenden :)

        Ich hoffe, ich konnte dir helfen.

        Liebe Grüße,
        Sonja vom Hey Fiffi-Team

  3. Eva Gebhardt

    Vielen Dank für den interessanten Artikel. Wir haben einen 15 Monate alten Labrador Rüden. Er ist ein prima Hund und lernt schnell und freudig. Das größte Problem, das wir haben ist, seine Leinenaggression. Jeder Spaziergang ist davon bestimmt und führt wie du auch beschrieben hast zu Unmut in der Familie. Oft wird gestritten oder gar überlegt, ob man den Hund weggeben soll. Es ist enorm belastend. Erblicken wir beim Spazieren einen kilometerweit entfernten Hund machen wir einen Umweg, damit unser Hund nicht eskaliert. Früher konnten wir ihn noch sitzen lassen, das wurde mit der Pubertät auch zunehmend schwerer. Kann das Verhalten nach der Pubertät wieder abklingen oder festigt sich dieses? Auch denke ich, dass die Theorie von der Stimmungsübertragung völlig zutrifft. Aber wie soll man entspannt sein, wenn man weiß, dass der Hund gleich wieder völlig austickt. Zudem war auch das Spiel in der Hundeschule wie beschrieben. Wenn ich darüber nachdenke, dann trifft all das Geschriebene auf unseren Hund zu. Der Arme weiß es auch nicht besser. Wahrscheinlich hätte ich Vieles anders machen müssen. Jetzt ist das Verhalten schon so manifest.
    Vielleicht hast du ja einen Tipp parat?

    1. Liebe Eva,

      danke für deine Nachricht.

      Ja, da hat sich wohl einiges hochgespielt. Nein, das hört nicht mit der Pubertät einfach wieder auf, denn das Problem ist ja nicht einfach nur hormonell bedingt, sondern da spielen, so wie du schreibst, Lernerfahrungen eine große Rolle.

      Es gibt aber viele gute Ansätze, mit Leinenaggression umzugehen.
      Wir haben dazu auch genaue Trainingsanleitungen. Schau dich doch einfach mal auf unserer Seite um:
      http://www.hey-fiffi.com/leinenaggression-beim-hund/

      Da findest du ganz viele Tipps und Tricks.

      Liebe Grüße,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

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