Ein Punkt in Flensburg und Hundetraining

Was ein Punkt in Flensburg mit Hundetraining zu tun hat, erzählt dir Hey Fiffi-Trainerin Carolin Hoffmann.

Punkt in Flensburg
Bildquelle: Lara Meiburg Photographie

Gestern war es wieder so weit: Einen Brief in einem hässlich vergilbten, amtlich aussehenden Umschlag galt es vom Postboten persönlich entgegenzunehmen und den Erhalt zu quittieren. Kein gutes Zeichen. Drin war der Bußgeldbescheid von der Bußgeldbehörde in Speyer (Echt? Da war ich?) mit dem Vermerk, ich hätte 128,80 Euro zu zahlen, und es seien 20 Euro mehr veranschlagt worden, wegen ähnlicher Vergehen in der Vergangenheit. (Ich weiß von nichts, mein Name ist Hase.) Und es würde mir ein Punkt in Flensburg auf meinem Rallyekonto gutgeschrieben. Mist. Ich ärgerte mich ca. drei Minuten, dann vergaß ich den Brief, weil ich anderes zu tun hatte. Als Reminder, die Rechnung fristgemäß zu zahlen, liegt er nun neben dem Laptop und wartet auf weitere Bearbeitung.

Ich tu das, was ich für sinnvoll halte

Kurze Zeit später stieg ich ins Auto, weil ich einen Termin hatte. Ich fuhr auf einer der Hauptverkehrsstraßen von Konstanz, auf der 60 km/h erlaubt sind. Auf diesem Abschnitt befinden sich 2 Blitzer. Ich weiß, dass einer der beiden nicht in Betrieb zu sein scheint, weil ich vor einigen Tagen etwas verpennt früh morgens mit 75 km/h drüber gefahren war, ohne dass etwas passiert wäre. Der andere erträgt locker 70 km/h, ohne auszulösen. Die meisten anderen Autofahrer drosseln lange vor den Blitzern ihr Tempo, die meisten fahren vor lauter Angst vor den neuen bedrohlich aussehenden schwarzen Geräten unter 60, eher 50 km/h. Mein sportlicher Ehrgeiz ist es aber, ihnen zu zeigen, dass keine Gefahr droht. Also gebe ich Gas, überhole und kitzele das Maximum heraus, um zu beweisen: Seht her, ihr Schnarchzapfen, ihr müsst nicht mit nervensägenden 50 km/h den Verkehrsfluss behindern. Ihr könnt schneller fahren. Direkt nach den Blitzern gebe ich natürlich Gas. Aber ich fahre hier nie schneller als 80 km/h. Wir reden über eine Schnellstraße, auf der keine Fußgänger unterwegs sind und auch sonst keine Gründe lauern, warum man hier nicht sehr sicher schneller fahren könnte. Ich entscheide also, dass die Entscheidung der Stadt, die Leute auf 60 km/h herunterzuzwingen, dumm ist, und passe meine Geschwindigkeit so an, wie ich glaube, dass sie richtig ist.

Was Strafe ist, definiert der Empfänger

All das mache ich, ohne einen Gedanken an den Brief zu verschwenden, der zu Hause auf meinem Laptop liegt. Ja. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass mein Verhalten falsch ist, weil ich die Regeln missachte. Das ist es. Und darum geht es hier gar nicht. Hier geht es darum, dass die Strafe, die mir Vater Staat aufs Auge drückt, für mich keine ist. Wäre es eine, würde ich ja lernen und ergo mein Verhalten verändern, indem ich mich zukünftig an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielte. Hätte in dem Schreiben statt 128, 1280 Euro gestanden, wäre es durchaus – zumindest für die nächsten Monate – eine Strafe gewesen und ich hätte tunlichst dafür gesorgt, brav zu bleiben (zumindest in und um Speyer herum. Ich weiß wirklich nicht, was ich da gemacht habe). Lerntheoretisch betrachtet ist Strafe also etwas, das nur der Empfänger definiert.

Tun, was sich lohnt

Jetzt ist es so, ich gehöre naturgemäß eher zu den etwas impulsiven Menschen, die einfach gerne zügig fahren. Es macht mir Spaß. Mir macht auch Spaß, das System mit den dämlichen Blitzern auszutricksen, so wie ich auch prinzipiell niemals ein Parkticket ziehe. Ich mag den Kitzel. Und Sonntagsfahrer machen mich verrückt und lassen mich per se schneller fahren – so als müsste ich deren Langsamkeit ausgleichen. Ich nehme es sportlich, dass ich das Spiel manchmal verliere. Mein Verhalten ist also höchstgradig selbstbelohnend! Wenn nun jemand möchte, dass ich mich an die Regeln halte, muss er mich überzeugen, dass langsameres Fahren lohnenswerter ist als schnelles. Er muss meine Motivation, meine Emotion verändern. Ein Mensch, der von sich aus einfach gerne langsam fährt, wird dieses Problem niemals haben.

Es lohnt sich oft, das System auszutricksen

Einen Hund also, der beispielsweise gerne jagt, vom Jagen abhalten zu können, indem man ihn dafür ausschimpft, ist eine Illusion. Denn der Hund tut es verdammt gerne, und er wird – ebenso wie ich – sehr findig darin werden, „das System“ auszutricksen, um sein Bedürfnis zu befriedigen. Einen Hund, der nicht jagt, vom Jagen abzuhalten, ist dahingegen natürlich sehr viel einfacher Wenn der Hund, der gerne jagt, nun aber eine Strafe erhielte, die er auch als Strafe empfände UND die er mit seinem Verhalten verknüpfte, dann gäbe es vielleicht die Chance auf Erfolg – für die nächste Zeit zumindest. Wenn ich also dem Hund WÄHREND des Jagens einen Stromstoß verpasse (während des Zu-schnell-Fahrens haut mir mein Mitfahrer JEDES MAL einen auf den Hinterkopf, so dass ich echt beeindruckt bin), wird er das Jagen vielleicht eine Zeit lang aufgeben (zumindest in dieser Umgebung, in einer neuen Umgebung bräuchte es dann vermutlich einen neuen Stromschlag). Ähnlich aber wie in meinem Fall, die ich die 1280 Euro oder die Kopfschmerzen irgendwann verwunden hätte und wieder in mein altes, selbstbelohnendes Verhalten zurückfallen würde, wird der Hund auch irgendwann das Jagen wieder aufnehmen – denn es macht ihm letztlich immer noch Spaß:
Wenn er sich sicher fühlte, weil er kein Teletaktgerät am Körper hätte (kein Beifahrer).
Wenn er schon lange nicht mehr gestraft worden wäre, weil er sich zurückgehalten hätte (Selbstbeherrschung, das Gaspedal nicht durchzudrücken).
Wenn sein Mensch nichts mitbekommen würde (kein Polizeiauto, kein Blitzer, kein Beifahrer in Sicht).
Würde ich beim Zu-schnell-Fahren einen Menschen anfahren, würde sich alles ändern: Vermutlich würde ich nie wieder in ein Auto steigen. Ich erlitte ein Trauma, das meine innerliche Motivation so verändern würde, das das alte Verhalten nie wieder aufträte. Aber ich auch nie wieder die gleiche wäre.
Ich kann einen Hund also auch so stark für etwas strafen, dass er innerlich zerbricht und er das Verhalten nicht mehr zeigen kann.

Die Lust Regeln einzuhalten

Mein unseliges Verhalten, immer etwas zu schnell zu fahren und Geschwindigkeitsbegrenzungen prinzipiell so zu interpretieren, dass sie mindestens 10 % Luft nach oben haben, könnte sich dauerhaft nur verändern, wenn ich plötzlich keine Lust mehr verspürte, schneller zu sein als die anderen, zügig zu fahren, das System auszutricksen. Ich müsste Spaß daran haben, mich an die Regel zu halten, und es dürfte mich keine Impulskontrolle kosten, mich dauerhaft zurückhalten zu müssen. Es müsste sich für mich jedes Mal lohnen, langsamer zu fahren. Wie das in der Praxis aussehen könnte, weiß ich jetzt nicht. Hier wäre die Kreativität des Systems gefragt.

Motivation!

Wie ich einen Hund dazu motiviere, nicht zu jagen und Spaß daran zu haben, ist – je nach Ausprägung – auch nicht einfach, jedoch definitiv einfacher als mich vom langsameren Fahren zu überzeugen. Die Lust meiner Hunde an diesen vermaledeiten Pferdeäpfeln ist aber vermutlich noch größer, als meine Lust, zügig zu fahren. ABER: Das Verhalten zu verändern bedarf einfach nur einiger Kreativität des Halters. Wenn der Hund versteht, dass es lohnenswert ist, nicht zu jagen, dann wird er nicht jagen. Wenn der Hund versteht, dass es lohnenswerter ist, einen Pferdeapfel anzuzeigen, statt ihn zu fressen, wird er ihn nicht mehr fressen. Wenn der Hund versteht, dass es lohnenswert ist, nicht hochzuspringen, nicht zu bellen, nicht in die Leine zu rennen, nicht zu pöbeln, nicht die besten Schuhe zu zerkauen – dann wird er es lassen zugunsten des lohnenswerteren Verhaltens. Wenn wir Menschen dieses Gesetz der Lerntheorie verinnerlichen würden, dann läge unser Schwerpunkt im Umgang mit uns selbst und auch mit unseren Hunden oder anderen Tieren viel mehr auf der Belohnung. Unser erster Impuls sollte sein, gutes Verhalten zu belohnen, statt falsches Verhalten aufkommen zu lassen, um es dann zu bestrafen. Denn Strafe ist in vielen Fällen nichts anderes als die Illusion auf Erfolg.

Und was mich betrifft: Ich zahle mein Bußgeld. Und versuche, mir beim Autofahren mehr Zeit zu lassen und mich zu entspannen. Ja, doch, ehrlich. Denn sie hat sich stets bemüht… (bis der nächste Sonntagsfahrer um die Ecke bog…).

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