„Das hat der aus Protest gemacht“
„Der macht das mit voller Absicht“
„Das macht der, um mich zu ärgern/strafen“
„Der weiß das ganz genau!“
So oder so ähnlich haben es Sabine Wöhner und viele ihrer Kollegen schon etliche Male gehört, wenn der geliebte Vierbeiner alleine bleiben musste und nach der Rückkehr des Besitzers die Wohnung umdekoriert ist oder unliebsame Hinterlassenschaften an verschiedenen Stellen des gemeinsamen Heimes vorzufinden sind. Protestpinkeln?

Diese Interpretation des Verlustes der Stubenreinheit entpuppt sich als reichlich unsinnig, wenn man genauer hinschaut:
- Für Hunde ist Kot und Urin nichts Ekliges oder Abstoßendes. Die Hinterlassenschaften von Artgenossen werden genauestens untersucht, beschnüffelt, manchmal sogar gefressen. Wer kennt nicht den verzückten Gesichtsausdruck eines Rüden, wenn er auf eine „Mädchenspur“ stößt?
Also warum bitte sollten Hunde Kot und Urin absetzen, um uns zu ärgern? - Wenn ein Mensch das Haus verlässt, hat der Hund keinerlei Ahnung, WANN er wieder nach Hause kommt. Daran ändert auch ein wohlgemeintes „Ich bin gleich wieder da“ oder „Ich bin in zwei Stunden zurück“ des flüchtigen Zweibeiners nichts. Einem Hund zu unterstellen, er würde sich auf dem Perserteppich entleeren, damit sich der nach zwei Stunden wieder einfindende Mensch so richtig darüber ärgert, ist nahezu absurd! Hunde leben und handeln jetzt. Ich habe JETZT ein Problem/Bedürfnis, also verhalte ich mich JETZT dementsprechend.
Spätestens an dieser Stelle der Erklärungen an den hilfesuchenden Hundehalter kommt ein „JA, ABER“. Also ein „Ja, aber er WEISS doch ganz genau, dass er etwas verbrochen hat, der hat eindeutig ein schlechtes Gewissen!“
Aber er hat doch ein schlechtes Gewissen!
Also ehrlich. Wenn ICH jemand aus Protest einen Streich spiele, dann habe ICH ganz und gar kein schlechtes Gewissen. Dann stehe ich mit hoch erhobenem Haupt da und denke „GEIL wie du dich aufregst!! JA!!“ Gehe von dannen und grins mir einen. Vermutlich freue ich mich am nächsten Tag noch über das dumme Gesicht und über meine geniale Leistung diesen Depp mal so richtig reingelegt zu haben…
Wenn wir also schon den Hunden menschliche Denkweisen aufdrücken wollen, dann müssen wir diese Gedankengänge auch bis zum Ende durchspielen – und daran scheitert dann unser Hineininterpretieren meistens. Vergeltung ist ein menschliches Handlungskonzept!
Warum tut er das?
Warum setzen also manche Hunde während sie alleine sind, Kot und/oder Urin ab (vorausgesetzt sie sind organisch gesund und die Gassigänge waren ausreichend)?
Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach:
- Manche Hunde haben, wenn sie getrennt von ihren Haltern sind, schlichtweg Stress. Die Ursachen sind mannigfaltig und werden in dieser Artikelserie noch eingehend erläutert werden.
- Stress ist erstmal eine Emotion. Eine Reaktion des Körpers auf eine momentan nicht bewältigbare Situation.
- Trennt man ein Lebewesen von seiner Gruppe, kann es zu „separation distress“ führen – also Trennungsstress. Unter diesem Begriff fasst man all diese Symptome zusammen.
Dazu gehören auch Lautäußerungen und/oder verschiedene Versuche den Kontakt zum Bindungsobjekt wieder her zu stellen (Jaulen, Fiepen, Jammern, Heulen, Bellen, an der Tür kratzen, versuchen durchs Fenster zu gelangen, versuchen Türen zu öffnen usw.).
Dieses wird von einem oder mehreren Symptomen begleitet:
- Stresshecheln
- Appetitlosigkeit
- geweitete Pupillen
- Speicheln
- Schweißpfoten
- erhöhte Herz-/Atemfrequenz
- beschleunigte Verdauung/Harnabscheidung
Stress macht mehr Pipi!
Unter Stress verändern sich die physiologischen Vorgänge im Körper. Das führt unter anderem zu vermehrtem Harndrang und beschleunigter Darmaktivität. Mal ehrlich: Kennen viele von uns!
Der Körper stellt sich so auf eine eventuelle langanhaltende Belastung ein. Das bedeutet Kampf oder Flucht. Ausgelöst wird dieses durch vermehrte Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin. Das ist biologisch und evolutionär genau so gewollt. Wenn jemand flieht, kann er keine Zeit zum Pinkeln aufbringen. Auch im Kampf wäre es ziemlich hinderlich, wenn man während einer feindlichen Attacke erst noch das Örtchen aufsuchen müsste. Also sorgt der Körper vorher dafür, dass diese Belastungssituation ohne störenden Fäkalienauswurf so gut wie möglich überlebt werden kann.
Also können wir zusammenfassend sagen:
- Der Hund hat in der Zeit sehr große Not.
- Er kotet und uriniert nicht, weil er uns ärgern will, sondern weil er in dem Moment nicht anders kann.
- Er war zu dem Zeitpunkt in einem sehr hohen Erregungszustand.
- Strafen des Hundes (in vielen Fällen harte Bestrafung) ist absolut kontraproduktiv und erhöht den Stresslevel des Tieres in einer ähnlichen Situation unter Umständen immens, wodurch das Problem größer statt kleiner wird und eventuell noch andere Ventile braucht um aus Sicht des Hundes bewältigt werden kann (Zerstörungswut usw.).
Was hilft?
An den Ursachen arbeiten – und nicht die Symptome bekämpfen. Hier ist ein einfühlsames und kleinschrittiges Alleinbleib-Training am zielführendsten. Wie das geht? Demnächst auf „Hey-Fiffi.com“
Herzlichst
Ihre Sabine Wöhner
Mehr zu Angst und Stress beim Hund
- Themenseite: Dein Hund hat Angst?
Über die Autorin Sabine Wöhner
- Hundeschule „Just For Dogs“ in Kronach
www.justfordogs.de
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