Leben mit einem Angsthund

„Angsthund“ wird gerne mal als „Modewort“ betitelt. Als etwas, was man nicht ernst nehmen muss. Als etwas, was völlig übertrieben dargestellt wird. Aber wie ist es, wenn der eigene Hund ein Angsthund ist? Wenn er aus lauter Angst nicht mehr fressen kann, sich nicht bewegen kann und nur noch an Flucht denkt?
Hey-Fiffi-Trainerin Yvonne Schleicher weiß, wie das ist. Sie lebt mit einem zusammen.

Foto: Yvonne Hüer
Cariño, Bildquelle: Yvonne Schleicher

„Ist der immer noch so ängstlich? Wird das nicht mehr besser?“
*seufz* Diese Aussage höre ich immer wieder, wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme. Oftmals sogar bei denen, die uns jetzt seit nunmehr 6 Jahre kennen und eigentlich wissen müssen, wie viel sich geändert hat.

JA – Cariño ist ein Hund der schnell mit Situationen und der Umwelt überfordert ist.
Und NEIN, ich glaube nicht daran, dass er jemals ein Hund wird, der einfach mit mir total entspannt durch die Düsseldorfer Innenstadt läuft. Aber muss das ein Hund können? Ist es nicht viel wichtiger, dass der Alltag entspannt und harmonisch verläuft?

Cariño kam im Oktober 2010 als Notfall zu mir. Er wurde in der Station, aus der er kommt, massiv gemobbt und er musste da raus. Lunas Körbchen war noch frei und Azunela signalisierte mir, dass sie gerne wieder einen Hundekumpel hätte. Ich weiß nicht warum, denn eigentlich wollte ich keinen Rüden, nicht überwiegend weiß und nichts mit Rauhaar, aber ich schrieb Maribel an. Eine Nacht habe ich darüber geschlafen, dann durfte er kommen.

Cariño kommt aus einer sehr guten Station, in der die Mitarbeiter alles tun, damit es den Hunden gut geht. Aber eine Station im Hinterland Andalusiens kann einen Hund nicht auf ein Leben in der Großstadt vorbereiten. Viele Hunde kommen damit dennoch in kurzer Zeit sehr gut klar. Cariño kam anfangs damit überhaupt nicht klar. Er ist von Natur aus ein eher zurückhaltender und schüchterner Hund. Neugierig zwar, aber nur, wenn er sich sicher fühlt.

Das Training begann mit dem ersten Tag und vom ersten Tag an habe ich auch mit einem Markerwort gearbeitet. Als Belohnung konnte ich anfangs nur mit Distanz und meiner Stimme arbeiten. Um draußen, vor allem in schwierigen Situationen, essen zu können, brauchte er knapp drei Jahre. Drinnen brauchte er immer eine „Trutzburg“ um schlafen zu können und das Erlebte zu verarbeiten. Heute braucht er sie nur noch selten. Trotzdem ist das Kissen unter dem Bett einer seiner Lieblingsschlafplätze.

Bedingt durch meine Lebensumstände hat er mich von Anfang an viel begleitet. Durch viele, kurze Spaziergänge in fremden Umgebungen und Spazierfahrten im Auto, lernte er immer besser mit der Umwelt klar zu kommen. Hatte er anfangs panische Angst und suchte sein Heil immer in der kopflosen Flucht, so konnte er dank Ankündigungen immer besser damit umgehen. Bis heute ist es so, dass er mir anzeigt, wenn ihn etwas „gruselt“ und er mir dann zeigt, ob er ausweichen, warten oder umdrehen möchte.

Dass er trotzdem immer mit nach draußen wollte, wenn ich die Geschirre vom Haken nahm, war Azunela und unseren 1001 Siedlungskaninchen zu verdanken. Der Jagdinstinkt war größer als die Angst, daher habe ich diesen ungehemmt durchkommen lassen. Immer wieder musste ich ihm „beweisen“, dass ich ihn beschütze und auf ihn aufpasse. Schritt für Schritt schaffte er es, seinen alten Angstpanzer abzulegen und heraus kam ein neugieriger, aktiver und manchmal sogar „frecher“ Hund, der mein Herz überlaufen lässt. Seit ich weiß, dass er einseitig taub ist und darauf Rücksicht nehme, hat sich nochmal viel getan.

Aber es dauert! Man braucht dafür Zeit, viel Zeit und noch mehr Geduld. Und wir reden nicht von Wochen. Eher von Jahren. Cariño brauchte ungefähr 3 Jahre, um in seinem neuen Leben anzukommen und dann nochmals 3 Jahre, damit er zeigen konnte, welcher Hund wirklich in ihm steckt.

Aber es lohnt sich! Der Alltag mit ihm ist einfach nur problemlos. Er geht auf fremde Hunde zu, hat sogar schon das ein oder andere Kind oder den einen oder anderen Jugendlichen als Freund. Bei Menschen braucht er generell lange, um ihnen zu vertrauen, aber wenn er liebt, dann mit ganzem Herzen. Es ist so schön zu sehen, wie er sich freut, das Leben genießt …. wie er LEBT!

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Kommentare

7 Antworten zu „Leben mit einem Angsthund“

  1. Kann ich nur bestätigen, ich habe ebenfalls eine Angsthündin und es dauerte lange bis sie Vertrauen gefasst hat.
    Aber wer sie vor 5 Jahren kennengelernt hat und sie heute sieht, die Verwandlung unglaublich!
    Meine Mara hat die Angst nie ganz verloren aber sie ist heute ein rundherum glücklicher Hund und die größte Schmusebacke die man sich vorstellen kann. Seit letzem Jahr (nach vier Jahren) tollt sie durch den Garten, spielt mit einem Ball und hüpft mit ihren 10 Jahren wie ein junger Springbock.
    Ein toller Nebeneffekt, ich kann sie überall frei laufen lassen. Sie bleibt immer in meiner Nähe und wenn ihr etwas „unheimlich“ erscheint, kein Problem, schnell hinter mir verstecken und alles ist gut.

    1. Alina Klee

      Ich habe auch eine Angsthündin. Bzw ich würde sie eher als Hund mit einem Deprivationsproblem beschreiben. Sie ist nun 3 Jahre hier und ist mit ihrer Mama hier eingezogen. Die Mama ist in den 3 Jahren schon richtig toll geworden und lässt auch mit sich arbeiten! Sie hat auch erst nach sehr langer Zeit angefangen, selbst Spielaufforderungen zu machen. Oder sich getraut, vor Zeugen (mir ;)) eine Klorolle zu zerfetzen.Das war vor ca. 2 Wochen- also nach fast 3 Jahren bei uns. Da hätte ich echt weinen können vor Freude :)
      Die Kleine ist drinnen echt ein entspannter, motivierter Hund. Im Garten ist sie auch gern unterwegs, nur leider haben wir keinen eigenen Garten. Spaziergänge mit bekannten Menschen (sie findet bekannte Menschen toll) findet sie klasse. Es lenkt sie dann von der gruseligen Umgebung ab. Ansonsten sind viele Sachen draußen gruselig (Fahrradfahrer, Jogger, andere Hunde etc.) Im Training hat sie sich früher ganz oft verweigert und absolut blockiert. Mittlerweile klappt es schon oft, dass sie es schafft, weiter zu gehen. Mit viel Motivation meinerseits.
      Mich würde interessieren, wie du es geschafft hast, deinem Hund beizubringen, sich hinter dir zu „verstecken“. Wir haben auch ein „hinter mich“ Signal, was die Mama Hündin auf Kommando auch gut beherrscht.
      Draußen ist es bei meiner kleinen Hündin so, dass sie von den Reizen oft so überflutet ist, dass sie geistig nur halb anwesend ist. Und wenn sie Angst hat, bleibt sie entweder einfach stehen und friert ein, oder sie würde unkontrolliert los laufen. Da ist dann keinerlei Denken möglich, habe ich immer das Gefühl. Es ist aber natürlich tagesformabhängig. Wir haben hier entspannte lockere Tage und auch mal blöde Tage. Ich fände daher Tipps toll, wie man das aufbaut, dass der Hund sich an mir besser orientiert. Drinnen macht sie das auf jeden Fall, z.B. wenn Besuch da ist und ich gehe in die Küche, dann ist sie sofort da. Draußen ist sie immer an der Leine (oder Schleppleine), eben wegen ihrer oft Kopflosigkeit. Denkt sie, dass sie sich da nicht an mir orientieren muss, weil ich ja eh an der Leine „hänge“?

  2. Andrea Stieg

    Hallo! Ich habe seit 5 Wochen einen ca. 7 monatigen Junghund aus Ungarn. Er ist extrem ängstlich-war ein Straßenfindling der eingefangen wurde und über den Tierschutzverein nach Österreich kam. Benji ist mir meinem Mann und unserer Tochter gegenüber beteits komplett zutraulich. Das Problem sind die im Haus lebenden Schwiegereltern! Ist er am Vormittag allein zu Haus bleibt er in seinem Korb obwohl er die Möglichkeit hätte mit unserem 13 jährigen Border Collie gemeinsam einen Stock tiefer zu den Schwiegereltern zu gehen. Er meidet sie knurrt sue an ubd frisst dann dich in geduckter Haltung ein Leckerli von ihnen. Ich bin echt schon ratlos denn er hat sich mit der Hilfe unseres Collies schon so viel angeeignet und seine Umwelt kennengelerbt auch anderen fremden Menschen gegenüber wird er zutraulicher nur bei den im Haus lebenden Schwiegereltern verändert sich nichts. Manchmsl bin ich den Tränen nahe! Bitte um Ratschläge!

    1. Liebe Andrea,

      das klingt nach einer sehr belastenden Situation für alle Beteiligten.

      Leider können wir aus der Ferne, ohne Hund und Halter zu kennen, keine Ratschläge geben.
      Am besten wendest du dich an einen Trainer aus dieser Liste hier:
      https://www.trainieren-statt-dominieren.de/
      Die können dir ganz sicher vor Ort helfen und damit sollte das Fremdel-Problem mit deinen Schwiegereltern am schnellsten und nachhaltigsten gelöst sein.

      Du kannst, wenn du möchtest und falls du Facebook-Mitglied bist, auch bei Facebook in der dazugehörigen Gruppe „Trainieren statt dominieren“ einfach mal nachfragen.

      Fünf Wochen sind noch keine lange Zeit und da kann sich noch sehr viel verändern :) Wichtig ist, deinen Junghund nicht zu zwingen und ihn in seinem eigenem Tempo auf deine Schwiegereltern zugehen zu lassen.

      Das wird schon!

      Liebe Grüße,
      Sonja

    2. Martina Riemenschneider

      Hallo Andrea,

      ich hoffe, das der Kleine mittlerweile etwas entspannter ist. Ich kann Dir aus eigener Erfahrung nur raten, ihm Zeit zu lassen. Er muss erstmal zu Hause ankommen und dass kann schon mal ein halbes Jahr dauern. Meine Hündin ist seit fast drei Monaten bei uns und ich finde, sie hat gerade in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht. Sie knurrt z.B. meinen Mann seit kurzem nicht mehr an. Hier hat geholfen, dass ausschließlich er ihr das Futter hingestellt hat und sich dann wortlos entfernt hat. Vielleicht kann das ja auch bei Euch helfen.

  3. Simone

    Hallo
    Ich habe seit drei Wochen einen 6 Monate jungen Golden Retriever, den ich von einer jungen 5 köpfige Familie übernommen habe.
    Dort konnte er sich den ganzen Tag frei bewegen. Die Kinder spielten mit ihm, auf Ausflügen war er immer mit dabei.
    Nun ist er bei mir ein totaler,wie man sagt, Angsthase. Er will nicht gassi gehen, setzt bzw. legt sich einfach hin.
    Ich weiß auch dass es viel Geduld bedarf, aber ich glaube auch das er sich hier nicht wohl fühlt.
    Wie ist eure Meinung?

    1. Liebe Simone,

      vielen Dank für deine Nachricht.
      So aus der Ferne können wir natürlich nicht sagen, ob sich dein Hund bei dir wohlfühlt oder nicht. Wir kennen euch ja gar nicht.
      Sein Verhalten wird aber ganz sicher einen Grund haben.
      Wir empfehlen daher, dass du jemanden fragst, der oder die in deiner Nähe ist und sich die Sache mal anschauen kann.
      Hier zum Beispiel:
      https://www.trainieren-statt-dominieren.de/unterstuetzer

      Liebe Grüße und alles Gute für euch,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

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