Die allermeisten von uns Hundehaltern leben in einem sozialen Gefüge. Das heißt, wir leben in einem Dorf, in einer Stadt, auf alle Fälle in einem Kontext in dem wir, ob wir nun möchten oder nicht, ständig auf mehr oder weniger fremde Menschen treffen. Und viele dieser, uns häufig gänzlich unbekannten Menschen, haben eine Meinung zu unserem Hund. So weit so normal, aber leider gibt es in unseren Breitengraden, sprich unserer Gesellschaft, eine recht verbreitete und manchmal nicht ganz realistische Vorstellung davon, wie Hund sich zu verhalten hat. Nämlich perfekt! Nur: Was ist perfekt, was ist perfekt aus Sicht eines durchschnittlichen Nichthundehalters, was aus Sicht eines Hundehalters, und was aus Sicht des Hundes? Von Dr. Christine Kompatscher
Ich denke, wir können uns ganz schnell darauf einigen, dass die Beschreibungen von Nichthundehaltern, Hundehaltern und Hunden zum Thema “perfekt” durchaus unterschiedlich sein könnten. Die Frage die sich daraus, so meine ich, zwangsläufig ergibt, lautet also: „Welches “perfekt” sollte das sein, an welches wir uns halten möchten? Und wie mache ich das am Besten? Und wie begegne ich Menschen, die mein “perfekt” so gar nicht “perfekt” sehen?“
Spielregeln
Nun: Da wir als Hundehalter, wie bereits weiter oben erwähnt, in einem sozialen Kontext leben und ein sozialer Kontext nun mal nur dann funktioniert, wenn sich alle nach bestem Wissen und Gewissen an die Spielregeln halten, die in diesem Kontext gelten, sind wohl grundsätzlich ein paar Kompromisse gefordert. Ich denke, es ist uns Hundehaltern durchaus zuzumuten, dass wir unsere Hunde so durchs Leben begleiten, dass sie für andere Menschen keine Einschränkung darstellen. Nicht jeder liebt Hunde und nicht jeder möchte Kontakt zu Hunden haben. Ich persönlich kann mir das emotional zwar nicht vorstellen, es ist aber eine Tatsache und ich bin sicher, es gibt auf dieser Welt unglaublich viele Menschen, die sich auch nicht vorstellen können, dass Briefmarken, Autos, Schlangen,… bei mir kein glückliches Herzklopfen verursachen. Heißt „Kompromisse eingehen“ aber, sich jedem sozialen Druck zu beugen? Und was ist sozialer Druck, auch „Gruppenzwang oder Konformismus“ genannt, überhaupt? Warum fällt es uns, zumindest den meisten von uns, so schwer, nicht zu reagieren und auch mal an unserer Haltung zu zweifeln, wenn wir so Sätze wie “Also der ist gar nicht erzogen! Sie haben Ihren Hund ja gar nicht im Griff…” hören?
Kompromisse
Schauen wir uns doch gemeinsam am, wie meine Antwort auf die verschiedenen Fragen lautet. Heißt „Kompromisse eingehen“, sich jedem sozialen Druck zu beugen? Ich meine: Nein! Kompromisse eingehen heißt, dafür zu sorgen, dass mein Hund nicht zu fremden Personen hinläuft, auch wenn er es vielleicht gerne tun würde: Also aus seiner Sicht ein “perfektes Verhalten” wäre. Kompromisse eingehen heißt, dafür zu sorgen, dass mein Hund keine fremden Menschen anspringt, ihnen im Vorüberspazieren nicht mal schnell die Nase in den Allerwertesten steckt und selbstverständlich bedeutet es auch, dass ich die Hinterlassenschaften meines Hundes entsorge. Es bedeutet aber nicht, dass ich aus meinem Hund einen willenlosen Befehlsempfänger mache und es bedeutet schon gar nicht, dass an meiner Haltung, an meiner Überzeugung, dass ein positiver und freundlicher Umgang mit dem Hund der einzig richtige Weg ist, rüttle. Klingt alles noch etwas abstrakt? Nun ich bringe gerne ein Beispiel aus meinem Leben mit Hund: Smilla, meine Aussiedame, fand und findet fremde Hunde, freundlich ausgedrückt, so richtig “Bäh”. Und ja, es gab eine Phase in ihrem Leben, da hat sie dieses “Bäh” so richtig laut kundgetan. Sie hing dann knurrend, bellend und geifernd in der Leine. Und ja, da gab es mehr als einen Passanten, der durchaus auch laut und deutlich gemeint hat: „Also Sie haben Ihren Hund ja gar nicht im Griff!” oder wahlweise “So was Unerzogenes kann man doch nicht auf die Straße bringen” oder “Also anstatt mit Leckerlis zu werfen, sollten Sie dem Hund einfach mal zeigen, wer hier das Sagen hat, dann lässt er das auch!” Ich denke, es ist nicht schwer sich vorzustellen, wie ich mich in solchen Momenten gefühlt habe. Genau: einfach schrecklich! Ich war wütend, traurig, geknickt. Und warum genau? Ja weil es sich für mich, so wie für die meisten von uns, nicht gut anfühlt, wenn ein Mitglied der Gesellschaft, in der wir leben, einem sagt: „Du machst was falsch, du taugst nicht!”. Und ja: Das nennt man sozialen Druck. Und ja: Es ist, weder für mich noch für dich einfach, diesem Druck standzuhalten, nicht einzuknicken, aber es geht! Aber der Reihe nach…
Sozialer Druck, Gruppenzwang, Konformismus
Zu den Themen „Sozialer Druck, Gruppenzwang und Konformismus“ gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen. So setzt sich sowohl die Psychologie, die Sozialpsychologie, aber auch die Soziologie mit diesem Phänomen auseinander und liefert eine ganze Reihe von Erklärungen, warum wir so handeln und fühlen, wie wir es eben oft tun, und warum es uns allen oft schwer fällt, Entscheidungen zu treffen und eine Haltung zu zeigen, die vielleicht nicht mit der großen Masse konform ist.
Bevor wir gemeinsam überlegen, wie es jedem einzelnen von uns gelingen kann, die eigene innere Haltung zu festigen und so besser und leichter mit unliebsamen Begegnungen umzugehen, sollten wir uns vielleicht ein paar Definitionen und Experimente anschauen, die helfen, die Mechanismen, die hinter dem Phänomen stecken, besser zu verstehen.
Definitionen
Konformität oder Konformismus ist die Übereinstimmung einer Person mit den Normen eines gesellschaftlichen, inhaltlichen oder ethischen Kontextes. Konformität kann im inneren Bedürfnis nach einem Gefühl der Zugehörigkeit und der Sehnsucht nach Integration durch Assimilationwurzeln oder ein Ergebnis des äußeren Konformitätsdrucks der umgebenden Gesellschaft oder der Bezugsgruppe sein.
Oder:
Gruppenzwang (auch Gruppen- oder Konformitätsdruck, engl. unter anderem „peer pressure“) ist Auslöser für das Verhalten oder die Einstellung von Personen innerhalb einer Gruppe. Häufig beeinflusst solcher Gruppenzwang nur Verhaltensweisen innerhalb einer begrenzten Gruppe und bewirkt eine Anpassung des Verhaltens an die Gruppennormen, insbesondere dann, wenn sie als Bedingung der Mitgliedschaft gilt. Die Wirksamkeit eines Konformitätsdruckes zeigt sich aber nicht zuletzt auch in der Anpassung des Verhaltens an die herrschende Sozialmoral und an die öffentliche Meinung.
Oder:
Sozialer Druck, Form der sozialen Kontrolle, die von positiven Sanktionen wie Belohnungen über unauffällige Beeinflussungsversuche bis hin zu physischer Gewaltanwendung reicht. Sozialer Druck kann von Gruppen gegenüber einzelnen Gruppenangehörigen oder Nichtgruppenangehörigen, aber auch von Mehrheitsgruppen gegenüber Minderheitsgruppen ausgeübt werden.
Sehnsucht nach Zugehörigkeit
Nun ich denke, wir sind uns einig, wenn ich sage, die Tatsache, dass wir Menschen soziale Lebewesen sind, dass wir alle Teil einer Gruppe sein möchten, dass wir gerne irgendwo dazugehören möchten, scheint eine Rolle zu spielen.
Schauen wir nun mal, zu welch erstaunlichen Verhaltensweisen diese Sehnsucht nach Zugehörigkeit führen kann. Dazu lade ich euch ein, dieses doch sehr bekannte Experiment von Solomon Ash (Psychologe) zu lesen:
In seinem Experiment hatte Solomon Ash eine Reihe von (eingeweihten) Personen an einem Konferenztisch platziert. Der Versuchsperson, die dazu kam, wurde gesagt, sie würde an einem freiwilligen Experiment teilnehmen. Nicht informiert wurde die jeweilige Versuchsperson über die Tatsache, dass alle anderen Teilnehmer in das Experiment eingeweiht waren. Nun wurde allen Teilnehmer auf einem Blatt eine Linie gezeigt. Auf einem weiteren Blatt wurden drei weitere Linien präsentiert und alle Beteiligten aufgefordert, zu sagen, welche der drei Linien gleich lang wäre wie die einzelne Linie. Dabei war immer eine der drei Linien deutlich erkennbar gleich lang wie die einzelne Referenzlinie. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, nacheinander zu antworten, wobei die eigentliche, einzige wahre Testperson immer als letzte antworten durfte. Und nun kommt das Erstaunliche: Im Experiment wurden die eingeweihten Personen angehalten, erst mal richtig zu antworten und siehe da: Auch die jeweils einzige wahre Testperson antwortete richtig. Nach einigen Durchgängen wurden die eingeweihten Teilnehmer nun angewiesen, falsch zu antworten, und ja, ich denke ihr ahnt es schon: Die jeweilige Testperson antwortet auch falsch. Und zwar sogar sehr oft. Konkret 76% der Testpersonen antwortet zumindest einmal auch falsch. Nur ein Viertel ließ sich durch die von der eingeweihten Gruppe bewusst falsch gegebenen Antworten, nie beeinflussen.
Entzug aus dem sozialen Druck
Und heißt das nun, wir haben keine Chance, uns dem sozialen Druck zu entziehen? Um zu unserem eigentlichen Thema zurückzukehren: Kann ich einen Hund nicht nachhaltig und durchgängig positiv trainieren und erziehen, weil der Druck den mein Umfeld ausübt, mich quasi zwingt, meine Haltung und Überzeugung zu ändern? Die Antwort lautet ganz klar: „Nein!“ Wir alle können es schaffen, zu unserer Haltung und zu unserer inneren Überzeugung zu stehen, auch wenn es in der einen oder anderen Situation nicht ganz einfach für uns ist. Und wie geht das? Nun: Zum einen können wir uns, in Anlehnung an das oben beschriebene Experiment, erstmal vor Augen halten, dass immerhin ein Viertel aller Testpersonen sich dem Gruppenzwang nicht gebeugt hat. Ein Viertel hat es also geschafft zu sagen: „Nein, nur weil da ein paar Personen etwas sehen, zu etwas die Meinung X haben, muss ich meine Meinung nicht gleich anpassen“. Und ich meine: Was diese Personen können, können wir auch! Schließlich und endlich sind wir auf der einen Seite ganz klar soziale Lebewesen, aber wir sind auch Individuen. Wir sind auch als Teil einer Gruppe nicht alle gleich. Wir unterscheiden uns von all den Menschen, die uns umgeben, und wir alle haben bewusst und unbewusst auch schon oft die Erfahrung gemacht, dass zur eigenen Meinung zu stehen, die eigene Haltung auch dann nach außen zu tragen, wenn sie in einem Kontext scheinbar wenig bis keinen Zuspruch findet, nicht automatisch bedeutet, dass man ausgegrenzt wird. Ganz im Gegenteil: Wer seine Überzeugungen wirklich fühlt und lebt, erfährt auch dann Respekt und Anerkennung, wenn er auf den ersten Blick scheinbar nicht so wirklich konform ist.
Du bist nicht allein
Und ganz ehrlich: So ganz allein, sind wir mit unserer Überzeugung ja nun auch nicht. Schaue ich jetzt einfach nur auf die Mitgliedszahlen von positiv trainierenden Menschen in den gängigen sozialen Medien, dann steht da eine wahrlich große Anzahl an Menschen hinter mir. Dann stehen da, jetzt mal ganz pauschal und sehr vereinfacht gerechnet, locker 25.000 Menschen neben und hinter jedem von uns. 25.000 Menschen, die sagen: Hey, was du da tust, ist gut und richtig. Bleib auf deinem Weg. Bleib deinen Überzeugungen treu. Glaub an deine Werte und deine Haltung!“ Und mit ein klein bisschen Phantasie kann sich jeder von uns bei der nächsten, unangenehmen Begegnung sicher einfach vorstellen, dass all die vielen Gleichgesinnten hinter einem stehen!
Fazit
Wenn ich nun abschließend zusammenfassen darf, was ich versucht habe darzulegen, denke ich, ich darf getrost sagen: Ja, sozialer Druck, Gruppenzwang, der Wunsch, in einem sozialen Kontext nicht aufzufallen oder aus dem Rahmen zu fallen, ist menschlich und absolut verständlich. Aber wir Menschen haben die tolle Fähigkeit, unser Handeln, unser Tun, unsere Werte und Überzeugungen immer wieder zu reflektieren. Wir haben die Fähigkeit, uns und unsere Umgebung zu hinterfragen und uns eine ganz eigene, individuelle Meinung zu bilden. Und alle, die diesen Artikel gelesen haben, wissen, ich bin Teil einer ziemlich großen und stetig wachsenden Gruppe. Hinter mir stehen Tausende von Gleichgesinnten, denen es wie mir und dir eine Herzensangelegenheit ist, unsere Hunde positiv und zugewandt durch das gemeinsame Leben zu begleiten.
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