In unserer Reihe „Rassebeschreibungen ungeschönt“ möchten wir dir einige beliebte Hunderassen vorstellen. Wichtig ist zu wissen, dass eine Rassebeschreibung ein von Menschen erdachtes Idealbild darstellt. Das heißt, dass nicht jeder Rassehund seiner Rassebeschreibung entspricht. Jeder Hund ist ein Individuum. Außerdem solltest du wissen, dass manche Rasseeigenschaften auf dem Papier zwar ganz nett klingen, in Wirklichkeit aber je nach Lebenssituation des Hundes zu unerwünschten Verhaltensweisen führen können. Claudia Scheiblich hat da mal was zu „ihrer“ Rasse, dem Old English Bulldog, zusammengefasst.
Kurz und knackig zur Geschichte
Der OEB geht auf David Leavitt zurück und findet seinen Ursprung in Amerika als sogenannte Rückzüchtung der „modernen“ englischen Bulldogge, welche nach dem Verbot (1835) des „Bullenbeissens“ regelrecht in den körperlichen Ruin selektiert wurde. Um dem modernen englischen Bulldog wieder zu einer gesunden und agilen Form zu verhelfen, wurden ab 1971 verschiedene Rassen, unter anderem der American Bulldog/Bullmastiff/American Staffordshire Terrier eingekreuzt. Mit ca. 50 Jahren ist es noch eine recht junge Rasse, was sich auch in dem teilweise sehr unterschiedlichen Erscheinungsbild zeigt.
Rassestandard oder auch: „Aus Kurz mach Lang“
Bisher wird die Rasse nur vom UKC (United Kennel Club) anerkannt. Hervorstechende Änderungen zum modernen englischen Bulldog:
- Längere Nase mit deutlich geringerer Faltenbildung, große Nasenlöcher
- Quadratischer Kopf mit deutlicher Furche
- Idealer Vorbiss zwischen 1-5 mm, max. 20mm, Zähne dürfen bei geschlossenem Fang nicht sichtbar sein
- Längere Gliedmaßen, wobei gerade die Vorderbeine eng am Oberkörper und gerade stehen sollten
- Hervorstechend ist die starke Ausbildung der Muskulatur in Kiefer, Nacken, Brust und Gliedmaßen
- Größe und Gewicht:
- 38 – 50 cm
- 20 – 40 kg (nachts im Bett: 80 kg)
Von der Lethargie zur Action
„Keine Form ohne Funktion!“ (Dr. Ute Blaschke-Berthold)
Kennt man den modernen englischen Bulldog als relativ ruhiges bis hin zum lethargischen Wesen und zielt beim OEB auf Ähnliches ab, so wird man hier schon die erste Überraschung erleben. Der OEB ist sehr bewegungsfreudig, meist in nur zwei Gangarten unterwegs: Schritt und Galopp. Aufgrund ihres Körperbaues und ihrer Masse sind sie besonders flott in der Beschleunigung. Sie können diese Geschwindigkeit auch für eine gewisse Distanz halten, allerdings bedarf das Anhalten, BEVOR eine Barriere wie zum Beispiel Menschen oder Hunde erreicht werden, durchaus eine wenig Übung, ggf auch ein Signal.
Das bedeutet aber auch, dass man einem aktiven, schnellen und kräftigen Hund beibringen muss, dass es sich lohnt, den Leinenradius einzuhalten. Andernfalls ist es für den Menschen zwar ein besonders effektives Ganzkörpertraining, zehrt allerdings bei Mensch UND Hund enorm an der Impulskontrolle und entsprechend heftig können beide reagieren. Meistens verliert der Mensch gegenüber dem Hund die Fassung und der Hund oft gegenüber seiner Umwelt. Aufgrund seiner Muskeln sollte man stets bedenken, dass ein OEB auch unerwünschtes Verhalten zeigen kann und der Mensch körperlich in der Lage sein muss, das Kraftpaket zu halten.
Das Jagdverhalten des Old English Bulldog
Spannend wird die Funktion der langen Nase und der dazugehörigen großen Nasenlöcher, welche nicht nur die Atmung bedeutend erleichtern, sondern auch das Riechen. Der OEB kann gut für die Nasenarbeit eingesetzt werden, allerdings wird die gute Riechleistung auch in Wald und Feld deutlich, so dass es oft wahrscheinlich ist, dass der OEB Jagdverhalten zeigt. Der moderne englische Bulldog zeigt das ebenfalls, allerdings meistens erst dann, wenn er das Wild erblickt. Das Orientierungsverhalten, sprich die aktive Suche nach Wild, des OEBs ist deutlich ausgeprägt, längeres Stehenbleiben, Fixieren und Beschleichen ist ohne Vortraining eher nicht zu erwarten. Ebenfalls deutlich, wenn nicht gar maßgeblich, ist das PACKEN ausgeprägt. Packen, ein weiteres Puzzlestück der Jagdverhaltenskette, ist ein jahrhundertelanges Selektionsziel der Bullrassen und sollte weder überspitzt noch blauäugig betrachtet werden. Es bedeutet nicht, dass der Bully alles packt, was nicht niet- und nagelfest! Dennoch muss diesem Bedürfnis Raum und Aufmerksamkeit in Form von Spiel und Beschäftigung geschenkt werden, um eventuellen Verhaltensstereotypien oder auch Aggressionsverhalten, resultierend aus Frust, vorzubeugen. Ebenfalls müssen entsprechende Verhaltensunterbrecher und Entspannungsmöglichkeiten trainiert werden, so dass der Hund möglichst jederzeit loslassen kann.
Wesen „Zielstrebig“
Zielstrebig – manche nennen es auch stur oder dickköpfig. Zielstrebig ist allerdings recht wertfrei und impliziert nicht, dass sich der Hund ständig auflehnt, denn das tut er nicht. Inwiefern sich die Ziele des Hundes mit dem seiner Menschen decken, ist allerdings eine andere Seite der Medaille. Hat sich der OEB etwas in den Kopf gesetzt, so wird er vielerlei ausprobieren. Dabei ist er äußert kreativ und sofern er gelernt hat, sein Ziel auch mit dem Menschen zu erreichen, auch kooperativ.
Wesen „Freundlich“
Freundlich – in der Regel zeigt sich der OEB anderen, selbst fremden Menschen gegenüber aufgeschlossen bzw. dauert es oft nur kurze Zeit, bis man in den BestBuddyOlymp aufsteigt. Teilweise reicht ein kleines, zufälliges Lächeln und es fällt dem Hund schwer, an dem Menschen, der dem Bully gefühlt den Hof macht, vorbeizugehen. Artgenossen sind so eine Sache… Gerade im Junghundealter finden viele Bulldoggen andere Hunde toll. Sie stürmen geradlinig hin, bremsen IM Hund und bemerken dann, teilweise auch schmerzhaft, dass das nicht die beste Idee war. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie aus einer einmaligen Erfahrung die richtigen Rückschlüsse ziehen. Vielmehr steigt die Erregung und viele Hundebegegnungen beginnen recht konfliktbehaftet zwischen Angst und Neugier/Spielverhalten. Je nach Charakter kann hieraus Aggressionsverhalten gegenüber Artgenossen entstehen.
Das Spielverhalten
Das Spielverhalten einer Bulldogge ist sehr körperbetont und kann teilweise schmerzhaft sein. Zwar wird ihnen nachgesagt, dass sie ein herabgesetztes Schmerzempfinden haben, allerdings sollte man sich nicht darauf verlassen. Man muss es eher im Kontext mit der spezifischen Beutefangsequenz und der Störanfälligkeit des Verhaltens durch Schmerzreize in Verbindung bringen. Je nach Charakter des Hundes kann es passieren, dass ein Spiel kippt, weil es etwas zu grob war, ohne dass der Hund bewusst gehandelt hat. Bei Rüden sollte nicht vergessen werden, dass für eine besonders muskulöse Körperform ausreichend Testosteron benötigt wird, was häufig ebenfalls zu Auseinandersetzungen führen kann. Dabei liegt der Schwerpunkt häufig bei gleichgeschlechtlichen Auseinandersetzungen. In der Annäherung an Artgenossen ist noch zu vermerken, dass auch wenn sie freundlich gemeint ist, es zu Missverständnissen kommen kommen. Die quadratische Körperform, kombiniert mit einem hohen Muskeltonus lässt kaum lockere Seitwärtsbewegungen zu, so dass das Gegenüber durchaus mit Angst und/oder Aggressionsverhalten reagieren kann.
Das Pokerface?
Pokerface – braucht man nicht zu erwarten. Einem OEB kann man förmlich beim Denken zusehen. Nicht, dass er besonders lange braucht, um eine Entscheidung zu treffen, aber sobald man ihn näher kennt, sieht man die Vorgänge, das Abwägen und Rattern im Hirn: „Was hat sie gesagt? Eigentlich könnte ich ja genau das jetzt machen, aber da hinten war, glaub ich, noch ein Buddelloch…“ Mittels positiver Verstärkung kann man den Denkprozess wortwörtlich sichtbar und richtungsweisend unterstützen.
Old English Bulldog: Krankheiten
Besonders hervorzuheben sind Erkrankungen des Bewegungsapparates. Aufgrund der Masse, der Muskulatur, der Beweglichkeit kombiniert mit der Geschwindigkeit kann es schnell zu Verletzungen, gerade im Bänderapparat, kommen. Kreuzbandriss ist hierbei recht häufig und es bedarf einer recht langen Genesungszeit, einhergehend mit Ruhigstellung, sowie mit lebenslangen Schmerzen im Alltag. HD/ED sind ebenfalls häufige Erkrankungen.
Fazit einer „Bulldog – Mami“
So anstrengend, impulskontrollraubend, arbeitsintensiv das Leben mit meinem OEB ist, es ist mindestens doppelt so lustig und bereichernd.
Zumindest dann, wenn du nichts erwartest und alles bekommst.
Wenn du in der Lage bist, über die „Zielstrebigkeit“ und dessen „Selbstverständlichkeit“ zu lachen.
Wenn du Verhaltensoriginalitäten akzeptieren kannst, ohne es persönlich zu nehmen oder gar nachzutragen.
Wenn du bereit bist, Hand in Pfote durch Pfützen zu hüpfen, im Schlamm zu baden und du dich am Ende des Tages der gemeinsamen Zeit und lustiger Grimassen auf Bildern erfreust.
Über die Autorin Claudia Scheiblich
Claudia Scheiblich lebt mit ihrem Freund und OEB Buddy in Berlin.
Buddy ist metaphorischer Namensgeber ihrer Hundeschule: DogSchoolBuddies und einer der Gründe für ihren Wunsch, Hundetrainerin zu werden.
Nach Abschluss ihrer Ausbildung bei CumCane familiari® geht die Ergotherapeutin, Hundetrainerin, Dogwalkerin speziell auf die Bedürfnisse der Hunde ein (https://youtu.be/s8ry48WhNFA), um die Ziele der Halter zu verwirklichen.
Bildquelle
- Alle Fotos: Claudia Scheiblich
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