Einst war der Wolf auf der gesamten Nordhalbkugel der Erde verbreitet. Durch erbarmungslose Bejagung war er in Deutschland über 100 Jahre lang ausgerottet. Als streng geschützte Art kehrt er nun seit der Jahrtausendwende aus Polen und Italien wieder zurück. Aktuell leben in Deutschland 60 Wolfsrudel, 16 Paare und zwei standorttreue Einzeltiere, die meisten im Norden und Osten Deutschlands.
In diesem Teil der Reihe über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland erfährst du, wie Wölfe leben und wie du einen Wolf von einem Hund unterscheiden kannst.
Familie Wolf
Wölfe sind Familientiere. Ein Rudel besteht aus den beiden Elterntieren, den Jungwölfen der letzten beiden Jahre und den vier bis sechs Welpen. Rüde und Fähe, so nennt man die männlichen und weiblichen Wölfe, bleiben einander meist ein Leben lang treu. Die Jungwölfe helfen den Eltern bei der Aufzucht der Welpen. Auch alte, verletzte oder behinderte Tiere werden von der Familie mitversorgt. Italienische Forscher dokumentierten im Jahr 2017 in der Nähe von Rom den Fall eines Wolfsjungen, welches auf Grund einer Lähmung die Hinterbeine nicht bewegen konnte. Trotzdem ließen es seine Eltern und Geschwister nicht im Stich. Das ganze Rudel kümmerte sich fast ein Jahr lang erfolgreich um das schwache Familienmitglied, bis es im April diesen Jahres von einem Auto überfahren wurde.
Mit ungefähr zwei Jahren werden Wölfe geschlechtsreif und verlassen das Territorium der Eltern, um einen Partner zu finden und ein neues Rudel zu gründen. Hierbei legen sie mitunter extreme Strecken zurück. Eine Wanderung von mehreren hundert oder gar tausend Kilometern ist keine Seltenheit. Schlagzeilen als Wanderwolf machte 2009 der mit einem Radiosender versehene Wolf Alan, der in nur vier Monaten aus der Lausitz in Sachsen über 800 km Luftlinie bis nach Weißrussland wanderte, bevor sich sein Signal dort verlor.
Ihr Alter
Wölfe können in Gefangenschaft bis zu 16 Jahre alt werden. In der Natur erreichen sie allerdings selten ein so hohes Alter. Einer der nachweislich ältesten Wölfe in Deutschland war die Mutter des Wanderwolfs Alan, die mit 13 Jahren eines natürlichen Todes starb. Sie wurde 2000 oder 2001 in der Nähe von Görlitz geboren und gründete 2005 ihr Rudel. Filmaufnahmen aus dieser Zeit zeigen, dass die Wölfin lahmte und ihr das rechte Auge fehlte. Forscher gaben ihr deshalb den Namen Einauge. Bei der Obduktion nach ihrem Tod wurden mehrere eingewachsene Blei- und Metallteile aus ihrem Körper geborgen, die zeigten, dass sie in ihrem Leben mindestens zwei Mal beschossen wurde, dies aber überlebte. Trotzdem hat die Wölfin rund 42 Welpen das Leben geschenkt und gilt als eine der Urmütter der Wölfe in Deutschland, deren Nachkommen sich unter anderem in Westdeutschland und Dänemark niedergelassen haben.
Fressen uns die Wölfe den Wald leer?
Ein russisches Sprichwort sagt „Wo der Wolf heult, da wächst der Wald“. Deutschland ist eines der Länder mit der höchsten Wildtierdichte in Europa. Die hohen Bestände an Reh-, Rot- und Damwild führen dazu, dass die Knospen, Blätter und Triebe der Bäume stark verbissen werden und der Wald sich nicht mehr natürlich verjüngen kann. Die hier lebenden Wölfe haben zwar keinen erwähnenswerten Einfluss auf den zahlenmäßigen Bestand an Schalenwild, aber sie halten das Wild in Bewegung, so dass der Verbiss nicht konzentriert an einer Stelle stattfindet und sich Flora und Fauna stärker regenerieren können. Wölfe leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Artenvielfalt. Bei uns ernähren sich Wölfe hauptsächlich von Rehen, Wildschweinen und Hirschen. Die Größe eines Wolfsreviers hängt davon ab, wie viele dieser Beutetiere darin leben, und in Deutschland sind Reviergrößen von 100 bis 350 km² bekannt. Auf diesem ausgedehnten Gebiet frisst ein Wolf durchschnittlich 1,5 dieser Beutetiere pro Woche. Als sogenannte Spitzenprädatoren haben Wölfe zwar kaum natürliche Feinde, allerdings wird ihre Zahl weitgehend durch die Zahl der verfügbaren Beutetiere reguliert. Daher ist eine Bejagung des Wolfes durch den Menschen weder aus ökologischer, noch aus biologischer Sicht sinnvoll.
Wolf oder Hund?
Einige Hunderassen, wie der Tschechische Wolfshund oder der Saarloos Wolfshund, sind für Laien kaum von einem Wolf zu unterscheiden. Europäische Wölfe sind etwa so groß und schwer wie ein Schäferhund. Sie weisen eine gelblich-graue Färbung auf, sind hochbeinig und haben auf dem Rücken oft einen hellen Sattelfleck, der durch eine schwarze Linie begrenzt wird. Die buschige Rute mit der schwarzen Spitze wird meist nach unten hängend getragen. Die Ohren sind klein, dreieckig und innen dicht behaart. Wölfe sind ausgezeichnete Läufer und können in einer Nacht bis zu 70km zurücklegen. Anders als bei Hunden ist ihre typische Gangart der geschnürte Trab, bei dem die Hinterpfoten genau in den Abdruck der Vorderpfoten gesetzt werden.
Im zweiten Teil der Reihe über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland erfährst du, wie du dich bei einer Begegnung mit einem Wolf verhalten solltest und was es zu beachten gilt, wenn du mit deinem Hund im Wolfsrevier unterwegs bist.
- Teil 2: Wildes Deutschland – Das Märchen vom bösen Wolf
- Teil 3: Wildes Deutschland – Von Alphawölfen und Rudeltheorien
- Teil 4: Wildes Deutschland – Dein Hund, der Sofawolf
Über die Autorin
Simone Müller ist Eigentümerin der Hundeschule Training4Paws in der Nähe von Heidelberg. Sie ist geschulte NABU Wolfsbotschafterin und geprüfte Hundetrainerin (ATN). Als Anglistin bietet sie neben Einzelcoachings auch Übersetzungsdienste und Seminarorganisation für englischsprachige Dozenten zu Hundethemen an.
Nähere Infos zum Angebot rund um Wolf und Hund unter https://www.training4paws.de
Simone ist Teil des Gremiums für Training und Ausbildung der Wildlife Detection Dogs e.V., einem Verein zur Ausbildung und zum Einsatz von Spürhunden in Artenschutz und Wildtiermonitoring. Sie ist Mitglied in mehreren Vereinen und Verbänden wie dem Freundeskreis freilebender Wölfe e.V., der Trainervereinigung Trainieren satt Dominieren und dem Berufsverband der Pet Dog Trainers of Europe (PDTE).
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Bildquelle
- Mit freundlicher Genehmigung des NABU und ihrer Kampagne „Willkommen Wolf“:
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/index.html
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