Warum ich „Nein“ sagen nicht sinnvoll finde

“Nein” wird gerne als Abbruchsignal benutzt. Es soll das Verhalten des Hundes unterbrechen. Der Vierbeiner soll aufhören zu bellen, zu betteln, anzuspringen, herumzukaspern, wegzurennen, das Reh zu hetzen, sich im Mist zu wälzen oder ähnliches. Vorweg sei gesagt: Hunde verwenden eine Reihe sehr differenzierter Abbruchsignale, um das Verhalten eines Artgenossen zu unterbrechen. Diese Signale sind fester Bestandteil der Kommunikation der Tiere. In der Tierwelt haben sie auch eine Daseinsberechtigung. Hat ein “Nein” das in der Mensch-Hund-Beziehung auch?
Hey Fiffi-Trainerin Lina Stranghöner über das „Nein!!“ in der Hundeerziehung.

Nein sagen
Foto: Lara Meiburg Photographie

Konsequenzen

Zuerst müssen wir definieren, welche Konsequenz nach dem Signal “Nein” für den Hund folgt. So können wir den Sinn und Unsinn besser erkennen:

Plan A: Meistens wird das Signal mit Strafen wie beispielsweise Schieben, Schubsen, Schreien, Leinenruck, Blocken oder anderen Handlungen verknüpft.

Plan B: Weniger oft wird so ähnlich trainiert, wie das “Pfui“. Also zum Beispiel so: Keks hinhalten, „Nein“ sagen, Hund weicht vom Keks zurück (baut also Distanz auf) und das Zurückweichen wird dann belohnt. In der Summe also deutlich netter als Plan A.

Befassen wir uns zuerst mit Plan B:
Hier hat der Hund in erster Linie gelernt, Futter nicht zu fressen. Das hilft mir aber nicht, wenn ich möchte, dass er still ist und nicht bellt. Das Signal wurde kontextspezifisch gelernt. Genau so wird es aber in unzähligen Videos suggeriert: Kurz mit den Leckerchen üben, dann klappt es bei allem anderen auch! Ich werde nachfolgend kaum darauf Bezug nehmen, weil es mit dem Aufbau keinen Sinn macht, es auch bei anderen Verhalten abzufragen.

Nun weiter mit Plan A:
Ich finde es sehr wichtig zu betonen, dass es viele Abstufungen der Intensität der Abbruchsignale in der Tierwelt gibt. Es gibt nur ein Problem: Wir Menschen sind keine Hunde! Unsere Ohren sind starr, wir haben keine Ruten, gehen nicht auf allen Vieren, können außer vielleicht Gewichtsverlagerungen und anderen eher kruden Kommunikationssignalen nichts so fein ausdrücken, wie Hunde mit ihrer Körpersprache. Eine, in Büchern oft versprochene, artgerechte Kommunikation ist also nicht möglich. Ein “Hunde machen das untereinander aber auch so” ist also kein Grund dafür, denn ich kann ja nicht wie Hunde untereinander mit meinem Vierbeiner kommunizieren. Natürlich kann es mit dem “Nein!” auch klappen: Wenn der Hund weiß, was „Nein“ heißt, hört er tatsächlich mit dem Verhalten auf. Selbstverständlich nur, um der zu erwartenden Konsequenz zu entgehen: Bestrafung. Dann wird ihm aber „die Freiheit gelassen“, selbst zu entscheiden, was er stattdessen machen soll. Es ist egal, was er dann macht, solange es nur das nicht mehr ist.

Woher soll der Hund das wissen?

Aber ist es wirklich so einfach für den Hund zu erkennen, was er falsch macht? Angenommen, er nervt während des Essens, indem er dich mit seiner Nase stupst, nach Aufmerksamkeit und Essen bettelt. Du sagst „Nein!“ und willst, dass er damit aufhört. Weiß er denn jetzt, dass er sich, statt zu betteln, die Zeitung aus dem Briefkasten holen und sich in sein Körbchen legen soll? Ich habe mit Absicht ein unlogisches Alternativverhalten genommen, denn genauso abwegig ist unser erwartetes Verhalten für den Hund! Er wird als Alternative höchstwahrscheinlich anfangen, anderweitig herumzuhampeln, zu bellen, uns anzuspringen, uns mit den Pfoten zu traktieren, zur Tür zu laufen, sich im Kreis zu drehen oder ähnliches. Je nach dem, wie sehr dich dieses Verhalten nervt, wird es ebenfalls mit „Nein!“ geahndet. Das geht so lange weiter, bis der Hund irgendwann zufällig das richtige Alternativverhalten erwischt oder bis irgendeine Intensität von „Nein!“ ihn so hemmt, dass er  erstmal gar nichts mehr macht.

Woran erkennt er eigentlich das richtige Verhalten?

Der Hund bekommt also (sehr) viele Informationen dafür, was du blöd findest, aber wenig bis kein Feedback, was richtig ist. Wenn du statt des „Nein!“ das Signal „Geh in dein Körbchen!“ sagst, gibt ihm das einen Plan an die Hand und er kann beim nächsten Mal darauf zurückgreifen und muss nicht wieder ewig lange rumprobieren, was du eigentlich willst. Der Erfolg hängt natürlich davon ab, wie gut du zuvor das „Geh in Dein Körbchen!“ geübt hast. Dabei empfindet dein Hund aber nicht nur Sicherheit, weil er weiß, was er tun soll, sondern auch Freude. Denn: „Nein!“ ist mit unangenehmen Konsequenzen verknüpft; „Geh in dein Körbchen!“ sehr angenehmen, wenn du es nett auftrainiert hast. Jedes Verhalten, das dein Hund auf ein Signal hin ausführt, beendet das direkt zuvor gezeigte Verhalten. Ganz egal, ob er ein Signal für „Sitz!“, „Platz!“, „Komm!“ oder „Handstand!“ bekommen hat. Der Hund macht also das, was wir möchten und er macht es auch noch gern. Warum also auf ein „Nein!“ zurückgreifen?

Fazit

Es stehen sich also gegenüber:
Mehrfaches „Nein“ für diverse aufmerksamkeitsheischende Bettelverhalten, die alle auf das Signal „BesitzerIn sitzt beim Essen“ ausgeführt werden und sowohl die Situation als auch den/die BesitzerIn mit schlechter Stimmung und unangenehmen Konsequenzen verknüpfen. Dagegen hält ein freundliches „Geh in dein Körbchen!“, das bei konsequenter Anwendung bei jeder Mahlzeit vermutlich nach ein paar Tagen direkt direkt gezeigt wird, wenn der/die BesitzerIn sich zum Essen an den Tisch setzt. Die “nette Methode” ist effizienter, weniger stressig für Mensch und Hund und mit angenehmeren Emotionen bei allen Beteiligten verknüpft und wirkt sich förderlich auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund aus.
Kurz gesagt: Sag deinem Hund was er tun soll. Das gibt ihm viel mehr sinnvolle Informationen!

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Kommentare

8 Antworten zu „Warum ich „Nein“ sagen nicht sinnvoll finde“

  1. Carola Hentschel

    Ein wertvoller Beitrag, den ich gerne teile, und der uns immer wieder im Training begegnet. Ich schaue mir immer wieder gerne eure Berichte und Videos an. Es lohnt sich und man lernt nie aus!

  2. Angelika Gerlach

    Sehr gut erklärt und logisch.

  3. Ole

    Hallo,

    danke für die Erläuterung.
    Ich finde es soweit auch nachvollziehbar und logisch:
    Lieber ausdrücken WAS der Hund tun soll anstatt, was er nicht tun soll.
    Ich kann mir dies aber bloß in spezifischen Situationen vorstellen:
    Wie im o.g. Beispiel soll er ins Körbchen gehen und unterlässt dann implizit das Betteln.
    Aber weiß der Hund dann, dass das Betteln falsch war?
    In meiner (unerfahrenen) Vorstellung lernt der Hund dadurch nicht, dass das Betteln verkehrt war?

    Ähnliche Situation heute:
    der Hund hat in seiner aufgedrehten Laune immer wieder angefangen Gegenstände und Kleidungsstücke anzuknabbern?
    Wie kann ich ihm richtig und gerecht signalisieren, dass er das unterlassen soll?
    Klar kann ich ihn auf seine Decke schicken oder ein anderes Ablenkungssignal geben – aber er würde doch die nächsten Male wieder knabbern oder?

    Würde mich sehr über ein Feedback freuen

    1. Grüß dich, Ole,

      danke für dein Lob.

      Und zu deiner Frage: Es ist nicht notwendig, dass der Hund „weiß“, dass er etwas Bestimmtes nicht tun soll. Wir arbeiten so, dass er das unerwünschte Verhalten nicht mehr zeigt. Einfach, weil er stattdessen ein anderes Verhalten erlernt hat. Liegt der Hund beim Essen in seinem Körbchen, bettelt er nicht mehr. Es ist nicht notwendig, dass er „weiß“, dass er nicht betteln soll. Er tut es einfach nicht mehr und das ist ja das, worauf es ankommt.

      Zu deinen Beispielen:
      Dein Hund ist aufgeregt und knabbert deswegen zum Beispiel an Gegenständen, an denen er nicht knabbern soll.
      Sein Bedürfnis ist also Knabbern (etwas ins Maul nehmen). Du könntest ihm also, wenn du merkst, dass er aufgeregt wird, alternativ etwas Passendes zum Knabbern anbieten. Etwas, was aus regelmäßig bereit liegt. Auf Dauer entstünde daraus ein neues Ritual: Dein Hund ist aufgeregt und sucht sich etwas zum Knabbern, was er haben darf, anstatt sich „verbotene“ Gegenstände zu suchen. Auch hier ist es nicht notwendig, dass dein Hund „weiß“, dass er einen bestimmten Gegenstand nicht anknabbern soll. Er macht es einfach nicht mehr.

      Schau doch mal in unsere Reihe „Grenzen setzen“. Da ist das nochmal ganz, ganz ausführlich erklärt :) Das Alternativverhalten ist nämlich nur ein Baustein von vielen, um dem Hund zu zeigen, was er nicht tun soll.
      https://www.hey-fiffi.com/richtig-trainieren/grenzen-setzen/

      Liebe Grüße,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

  4. Dirk Reh

    Das NEIN ist ein menschliches Wort. Warum geben wir dem Hund kein hündischen Nein ?
    Es gibt von Hunden zu Hunden einige klare NEINS .MfG,Dirk

    1. Lieber Dirk,

      danke für deine Frage.

      Klar ist das „Nein“ ein menschliches Wort. Wir sind Menschen und kommunizieren auf unsere Weise mit Hunden. Wir können gar nicht anders. Du kannst deinem Hund gar kein „hündisches Nein“ geben, denn du bist kein Hund und auch beim besten Willen verhältst du dich nicht wie einer :) Das heißt, im Endeffekt ist dein „hündisches Nein“ nichts anders als ein menschliches „Nein“ und warum wir das nicht so sinnvoll finden, steht unter anderem im Artikel, der ja auch nur einen Teilaspekt von Strafen beleuchtet. Wenn du dich da noch mehr einlesen möchtest, findest du auf unserer Website jede Menge Videos und Artikel zum Thema.

      Liebe Grüße
      Sonja

      Liebe Grüße
      Sonja

  5. Bärbel Kracht

    Ich gehe mit 2 Rüden spazieren, die in einem Haushalt leben. Der ältere Ranghöhere versucht häufig den jüngeren Hund zu besteigen. Der lässt das stoisch über sich ergehen. Ich finde euer Konzept sinnvoll, weiß aber nicht, wie ich es in dieser Situation anwenden kann. Der Ältere lässt sich durch ein „Nein“ für einen kurzen Moment von seinem Vorhaben abbringen, versucht es aber immer wieder erneut.
    Herzliche Grüße!

    1. Liebe Bärbel,

      danke für deine Nachricht.

      Du hast ja selbst schon gemerkt, dass das „Nein“ nur für einen kurzen Moment etwas bringt und dann nicht mehr.
      Mit der Rangordnung hat das Aufreiten eher weniger zu tun. Das kann viele Ursachen haben. Aufregung, Hormonstatus, Überforderung,…
      Hier findest du einen ganz guten, kurzen Artikel dazu:
      https://sprichhund.de/aufreiten/

      Überleg doch mal, in welchen Situationen das passiert. Und ist der zweite Hund evt. kastriert und riecht deswegen besonders gut? Oder passiert es bei oder nach einem Spiel? Passiert es in stressigen Situationen?

      Und je nachdem, woran es liegt, kannst du dir Lösungswege überlegen, wie zB für mehr Entspannung zu sorgen, alternative Beschäftigungen bereitzustellen, usw.

      Liebe Grüße
      Sonja

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