Wie alle Welpen, so hat auch Isla soziale und emotionale Bedürfnisse. Sie möchte gerne neue Menschen kennenlernen, mit ihnen spielen und gestreichelt werden. Um ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen und gehört zu werden, greift sie dabei auf normales Welpenverhalten zurück: Sie springt an Menschen hoch, beißt in Kleider und Hände und bellt und fiept. Sie zeigt Verhaltensweisen, die wir Menschen nicht wirklich prickelnd finden. Jedes soziale Lebewesen hat ein Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und danach, dass die eigenen Bedürfnisse vom Sozialpartner gehört werden. Unsere Hunde stellen hier keine Ausnahme dar. Du kannst deinem Hund selbstverständlich nicht jeden Wunsch erfüllen, aber du kannst ihm zeigen, dass du seine Bedürfnisse wahrnimmst. Wie du deinem Welpen beibringen kannst, seine Bedürfnisse in einer in unserer Menschenwelt angemessenen Art und Weise zu äußern, erklärt dir Simone Müller.
Das Frühförderprogramm für Welpen „Puppy Culture“ wurde von der amerikanischen Hundetrainerin und Autorin Jane Messineo Lindquist entwickelt, um Welpen durch gezielte Übungen stressresistenter zu machen. Das Programm greift unter anderem auf ein Konzept aus der Humanpsychologie zurück, um den Welpen eine Möglichkeit zu geben, Wünsche zu äußern: das so genannte „manding“.
Was ist „manding“?
„Manding“ leitet sich vom englischen Wort „demand“ ab, was so viel bedeutet wie „um etwas bitten, etwas fordern“. Es handelt sich um ein Konzept aus der Arbeit mit autistischen Kindern. Mit Hilfe einer Geste lernen sie, um ein Spielzeug zu bitten und damit ein Bedürfnis zu äußern. „Manding“ hat einen starken positiven Einfluss auf die Kognition und das Verhalten von autistischen Kindern, da es ihnen zeigt, dass sie ihre Umwelt beeinflussen können und sich soziale Interaktionen auszahlen. Destruktive und stereotype Verhaltensweisen werden dadurch weniger, soziale Interaktionen nehmen zu. Die Autoren von Puppy Culture konnten denselben Effekt bei Welpen beobachten. Die Fähigkeit, selbstwirksam zu agieren und mit der Bezugsperson zu kommunizieren hat lebenslange positive Auswirkungen auf die Kognition und das Sozialverhalten unserer Hunde.
Wie funktioniert „manding“?
Die Macher von Puppy Culture empfehlen Züchtern, schon sehr früh, um die 5. Lebenswoche herum, mit dem „manding“ zu beginnen. Sie fangen dazu ein „Sitz“ ein, wenn der Hund es gerade zeigt. Der Züchter verteilt kleine Leckerbissen und zwar immer an den Welpen, der gerade sitzt. Da die Welpen erfolgreiches Verhalten auch von einander abschauen, lernen sie in der Regel sehr schnell, dass es sich lohnt, sich hinzusetzen. Im Grunde könnte man aber auch jedes andere Verhalten, wie Steh oder Pfote geben für das „Manding“ nutzen. Auch wenn du deinen Welpen erst einige Wochen später vom Züchter übernimmst, ist es nicht zu spät, deinem Hund „manding“ beizubringen. Bei Isla habe ich ab dem Alter von 11 Wochen das Sitz in ganz unterschiedlichen Situationen eingefangen, wenn sie es von sich aus gezeigt hat.
Beispielvideo auf Youtube: „Wer sitzt, der kriegt!“ Ein Video zu „manding“ der Kurzhaarcolliezüchterin Cordula Weiss, die ihre Würfe mit Elementen aus Puppy Culture großzieht.
Was ist „manding“ NICHT?
„Manding“ ist nicht zu verwechseln mit dem Konzept „Nothing in life is free“, nach dem dein Welpe gemäß einer Regel ERST ein erwünschtes Verhalten zeigen MUSS, um ein Bedürfnis erfüllt zu bekommen, wie zum Beispiel dass dein Welpe nur dann gestreichelt wird und fremden Menschen Hallo sagen darf, wenn er vorher sitzt. „Manding“ ist KEINE von oben dem Welpen aufgezwungene Regel, sondern Empowerment für deinen Welpen und eine vom Hund ausgehende Kommunikation mit dir.
Warum starre Regeln deinem Welpen sogar schaden können
Klar müssen unsere Hunde in der Lage sein, Regeln zu befolgen, um in unserer Welt zurecht zu kommen. Aber Welpen sind keine erwachsenen Hunde im Miniformat. Ihr Gehirn funktioniert anders. Welpen im Alter von bis zu fünf Monaten sind noch gar nicht in der Lage, komplexe „Wenn/dann-Regeln“ zu verstehen, sich an sie zu erinnern und sie konstant umzusetzen. Sie haben noch nicht die physischen und psychischen Voraussetzungen, sich selbst in jeder Situation zu kontrollieren und zurückzunehmen und so sind Misserfolge vorprogrammiert, wenn du zu früh starre Regeln einführst. Dem Welpengehirn fällt es zwar unglaublich schwer, komplexes, erlerntes Verhalten zuverlässig abzurufen aber es ist geradezu dafür prädestiniert, innerhalb der Sozialisierungsphase durch klassische Konditionierung zu lernen, also dauerhafte Assoziationen herzustellen zwischen einem Reiz, einer Reaktion und einem damit verbundenen Gefühl. Wenn du nun auf einer Regel bestehst wie „Mein Welpe muss immer sitzen bevor er einen Menschen begrüßen darf und gestreichelt wird“, dann verlangst du von deinem Welpen ein komplexes erlerntes Verhalten, welches er noch nicht in der Lage ist, zuverlässig zu erinnern und in jeder Situation auszuführen. Frustration ist die Folge, die dein Welpe dann automatisch mit dir oder dem Menschen verbindet, dem er Hallo sagen möchte. Ausgerechnet in einer Phase, in der du deinen Welpen mit unterschiedlichen Menschen sozialisieren möchtest und ihm zeigen willst, dass Menschen etwas Tolles sind, assoziiert dein Welpe fremde Menschen mit Frust und negativen Gefühlen und speichert diesen Frust dauerhaft ab.
Strenge Regeln im Welpenalter können also genau das Gegenteil bewirken von dem, was du deinem Hund eigentlich mit auf seinen Lebensweg geben möchtest.
„Manding“ ist KEIN Muss!
Wie das Puppy Culture Programm empfiehlt, so versuche ich, Islas Begegnungen mit Menschen dahingehend zu managen, dass sie schönes „manding“ Verhalten zeigen kann, um damit um Aufmerksamkeit zu bitten. Es ist aber keine Voraussetzung dafür, dass sie Hallo sagen darf. Während der Sozialisierungsphase liegt mein Fokus immer darauf, dass Isla Begegnungen mit Menschen ungetrübt genießt und positive Gefühle mit fremden Menschen verbindet. Für die Einführung von Regeln ist später noch genug Zeit im Hundeleben.
Ein Wort zu erwachsenen Hunde und „Manding“
Gerade für Hunde aus dem Tierschutz, die schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben oder Hunde, die über Strafe erzogen worden sind, kann „manding“ ein absoluter Icebreaker sein. Das Konzept der Selbstwirksamkeit macht das Training mit ihnen einfacher. Die Hunde suchen öfter Augenkontakt und die Interaktion mit dem Menschen. Auch wenn der Aufbau etwas länger dauert und mehr Wiederholungen benötigt, so liegen die Vorteile des Konzepts beim erwachsenen Hund ebenso auf der Hand, wie beim Welpen.
Quellen
- Jane Messineo Lindquist: „Sit Does Not Mean Sit: Giving Puppies a Voice with Mand Behaviours“, https://spring2019.iaabcjournal.org.
- Puppy Culture (2018) The Puppy Culture Workbook.
Bildquelle
- Fotos: Nina Herr Fotografie, Tierfotografie in Stuttgart und Darmstadt, http://www.nina-herr.de/.
- Video: Cordula Weiss, https://kalalassies.de/
- Artikelserie: Puppy Diaries
- Themenseite: Welpen
Über die Autorin
Simone Müller ist geprüfte Hundetrainerin (ATN) und trainiert mit ihrer Hundeschule Training4Paws in der Nähe von Mosbach und Ludwigsburg. Neben Einzelcoachings, Workshops und Seminaren bietet sie als Anglistin auch Übersetzungsdienste für englischsprachige Dozenten zu Hundethemen an.
Nähere Infos zum Angebot unter https://www.training4paws.de
Simone ist Mitglied der Trainervereinigung Trainieren satt Dominieren und dem Berufsverband der Pet Dog Trainers of Europe (PDTE).
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