Medical Training – Damit dein Hund sich auf den Tierarzt freut

Es gibt verschiedenste Übungen, die du mit dem Hund machen kannst, um ihn an Körperpflegemaßnahmen und den Tierarztbesuch zu gewöhnen – oft zusammengefasst unter dem Begriff Medicaltraining.
In den meisten Welpenratgebern wird dazu geraten, den Hund schon „spielerisch“ an Körperpflegemaßnahmen heranzuführen. Das ist auch bestimmt kein Fehler! Gewillte Hundebesitzer üben auch schon hin und wieder das Anfassen bestimmter Körperteile des Hundes, stellen dann aber über früh oder lang fest, dass ein Tierarztbesuch doch zu einer stressigen Angelegenheit für alle Beteiligten wird, da die Vorbereitung dafür eben doch nicht wirklich gründlich war. Wie du so ein Gewöhnen an Körperpflegemaßnahmen richtig aufbaust, erklärt dir Ines Grötker.

Medical Training 1

„Angenehm“ für den Menschen sind da die Hunde, die in ihrer Angst gefangen alles still über sich ergehen lassen. Viele zittern, die Rute ist bis weit unter den Bauch gezogen, aber der Hund hält still.
Von dieser Sorte Hund waren sowohl meine verstorbene Schäferhundmixhündin Frieda und ist auch mein Collierüde Bisou. Mit ihnen waren und sind Tierarztbesuche zwar kein Vergnügen, aber machbar. So richtig groß trainiert oder sie auf den Tierarztbesuch vorbereitet habe ich sie nicht, muss ich gestehen. Das Medicaltraining fand ausschließlich zu Hause statt.

Und dann kam Winny

Medical Training 2

Und dann zog im Februar 2018 Winny mit 12 Wochen bei uns ein und überzeugte mich von der Notwendigkeit eines gut durchdachten Trainings. Winny ist ein Papillonmädchen und wahrlich kein großer Hund. Schnell stellte sich heraus, dass Winny anders gestrickt war (ist), als ihre großen Mitbewohner. Festhalten und mal eben was aus dem Fell zupfen wäre nur unter Protest und Gezappel möglich gewesen. Jetzt mögen sich einige denken „Mein Gott, das ist doch nur ein kleines Hundchen. Den kann man doch einfach festhalten, dann lernt er das Stillhalten schon!“ Ja natürlich könnte man das bei einem kleinen Hund. Er würde schon lernen, dass sich zu wehren keinen Sinn macht. Aber wie fühlt sich der Hund dabei? Er erlebt einen totalen Verlust der Kontrolle darüber, was mit ihm geschieht. Und egal, was er tut, ob er sich unterwirft oder aktiv wehrt, es wird doch mit ihm gemacht. Ein Gefühl völliger Wehrlosigkeit und Resignation! Nicht umsonst spricht man bei diesem Zustand auch von einer „erlernten Hilflosigkeit“. Diesen Weg wollte ich mit Winny auf keinen Fall gehen. Aus meiner Sicht stehen einem kleinen Hund die gleichen „Rechte“ zu wie einem großen.

Unsere Anfänge

Medical Training 3

Angefangen habe ich mit ihr mit dem „Kinntouch“. Hierbei lernt der Hund, seinen Kopf in die flache Hand zu legen und eventuell eine Weile dort zu lassen. Das klappte schnell sehr gut und während Winny den Kinntouch ausführte, konnte ich beginnen, mir mal ihre Zähne anzuschauen oder die Augen zu säubern. Natürlich wurde das fürstlich belohnt. Winny war zu diesem Zeitpunkt circa vier bis fünf Monate alt. Durch einen unglücklichen Zwischenfall musste Winny als Notfall zum Tierarzt. Unter Schmerzen musste der Augapfel wieder an seinen richtigen Platz gedrückt werden. Dies ging natürlich nur unter Festhalten. Im Training waren wir noch längst nicht so weit. Beim nächsten Artzttermin stand direkt eine Opertaion an. Zwei festsitzende Milchzähne mussten gezogen werden. Bei diesem Artztermin musste ich die kreischende Winny zum Geben der Spritze extrem in meinen Armen fixieren. Sie zappelte, schrie und hätte mit Sicherheit auch gebissen. Dann kam noch ein Spruch vom Tierarzt darüber, dass ich mich jetzt aber mal durchsetzten müsse. Das war der Wendepunkt und Zeit für einen Tierarztwechsel!

Das Training

Für mich war klar: Es musste sich etwas ändern. Winny hatte mit ihren gerade acht Monaten doch noch ein ganzes Leben mit diversen Tierarztbesuchen vor sich. Und einen Hund jedes Mal in seinem Vertrauen zu mir zu enttäuschen, weil ich ihn festhalte, obwohl er es so furchtbar findet, kam für mich nicht weiter in Frage. Ich trainerte mit Winny viel, diverse Körperteile zu berühren und festzuhalten, auch mit Werkzeugen in der Hand. Dazu bekam Winny für jedes Berühren einen Click plus Leckerli. Aber irgendwie ging das Training nicht recht voran, da es für den Hund ja noch was ganz anderes ist, wenn die Bezugsperson an ihm rumhantiert, als wenn das eine fremde Person in einer fremden Umgebung macht.

Das Kooperationssignal

Medical Training 4

Ich brauchte etwas, wo Winny mehr aktiv mit einbezogen werden konnte und sie mir sagen konnte, wann es etwas okay war und wann nicht mehr, ohne dass sie „deutlich“ werden musste. So fingen wir an, ein „Kooperationssignal“ aufzubauen. Dieses Signal soll dem Hund ermöglichen, mitzuteilen, wann er eine Pause braucht. Er bekommt ein Mitspracherecht. Winny lernte, ihre Nase in einen kleinen Maulkorb zu stecken. (Es gibt viele, viele Möglichkeiten und Varianten, was als Kooprationssignal genutzt werden kann). Das Reinstecken und Halten der Nase im Maulkorb wurde sehr gut mit tollen Sachen belohnt. Schon bald steckte Winny ihre Nase von alleine sehr gerne hinein. Der nächste Schritt bestand darin, dass ich sie, wenn die Nase im Mauli war, leicht berührte oder dieses andeutete. Ganz wichtig war jetzt hierbei, dass ich SOFORT abbrach, sobald Winny aus dem Maulkorb ging, denn das war jetzt ihr Zeichen für „Pause“. Blieb sie drin, wurde dies wieder toll belohnt und schon bald konnte ich sie gut anfassen. Das Anfassen an sich ist auch unproblematisch für sie, man muss das Training mit ganz einfachen Anforderungen beginnen. Schnell verstand Winny das Prinzip, dass sie jederzeit selber abbrechen konnte und probierte auch immer wieder aus, ob ich mich wirklich daran hielt.

Schwierigkeit erhöhen

Ganz langsam konnte ich jetzt den Schwierigkeitsgrad erhöhen. Mal nahm ich eine Pfote in die Hand, mal bürstete ich „unbeliebte“ Stellen. Und IMMER konnte Winny abbrechen, wann immer sie wollte. Sehr zu meiner Überraschung machte sie aber immer wieder schnell mit und hielt immer mehr aus. Nach einigen Wochen gab es kaum etwas, was ich nicht mit ihr machen und untersuchen konnte. Es war Zeit, den Trainingsort zu variieren. Wir hatten am Boden gestartet, jetzt ging es auf einen Tisch. Auch hier musste sich Winny anfangs erst einmal vergewissern, dass sie selber bestimmen konnte, wie lange was gemacht wurde und ob sie auch vom Tisch wieder runter durfte. Als nächstes kamen Freunde zum Einsatz, die unter Anleitung einmal Doktor spielten. So lernte Winny, dass das Kooperationssignal auch mit anderen Personen die gleiche Bedeutung hatte.

In der Tierarztpraxis

Der wichtigste Übungschritt stand uns allerdings noch bevor: Das Üben in der Tierarztpraxis! Zum Glück fand ich in der Nähe eine sehr kooperative Praxis , die uns herzlich zum Üben einlud. Am Anfang brauchte ich dazu auch weder Personal noch Tisch. Winny und ich starteten mit ein paar Minuten Training auf der Erde, nachdem sie die Praxis erkunden durfte. Das war es dann auch schon. So steigerten wir uns von Mal zu Mal und bereits beim vierten Termin in der Praxis fühlte sich Winny bereits so sicher, dass wir mit einer netten Helferin eine Blutabnahme simulieren konnten. Ein Riesenerfolg!
Sogar leichte „Schmerzreize“, Pieken mit diversen Gegenständen und das Kontrollieren der Pfoten waren schon möglich. Eine normale Eingangsuntersuchung sowieso. Wir fühlen uns jetzt gewappnet für eine „richtige“ Untersuchung beim Tierarzt, wobei sich das von den Übungen nicht groß unterscheiden wird. Allerdings gehen Winny und ich auch nach wie vor immer mal wieder zum Üben in die Praxis, Winny geht dort jetzt ausgesprochen gerne hin und ich nehme das Üben dort als tolle Beschäftigung wahr. Zu Hause nutze ich die Trainingstechnik auch, um manche Körperpflegemaßnahmen durchzuführen.
Und so sieht das in der Tierarztpraxis aus:
https://www.facebook.com/ines.grotker/videos/1800354963408846/

Kooperation statt Konfrontation

Für Winny und mich war das Erlernen eines Kooperationssignals der Schlüssel zum Erfolg. Es gibt auch noch viele andere Übungen, mit denen man den Hund auf zahlreiche Behandlungen vorbereiten kann und ich kann ein Training auch für die „unkomplizierten“ Hunde nur wärmstens empfehlen. Übrigens zahlt sich so ein Training in sämtlichen Bereichen des Zusammenlebens aus. Das Vertrauen, das uns der Hund entgegenbringt, da wir für ihn einfach verlässlich sind und er mit uns kommunizieren kann, wächst stetig!

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