Funktioniert Gewalt im Hundetraining?

„Aber warum tun die das nur??? Mit Gewalt erziehen, das funktioniert doch gar nicht!“ Das hört man öfter mal. Wenn ich es ganz kurz machen wollte, könnte ich antworten „Keine Ahnung!“ und „Hm, also naja, es kann schon funktionieren, kommt auf die Definition von `funktionieren`an…“ Könnte ich, mache ich aber nicht, die Frage verdient eine ausführlichere Antwort! Von Anne Bigi.

Strafe?
Bildquelle: Lara Meiburg Photographie

Ich habe tatsächlich früher selbst mit psychischer und physischer Gewalt gearbeitet. Ich habe schon als kleines Kind Tiere geliebt und ein eigenes Tier wäre für mich die Erfüllung eines Traumes gewesen.
Aber Tiere kosten, Tiere brauchen Zeit und Tiere machen Schmutz und Arbeit. Also nein, ich bekomme keinen Hund. Nein, auch keine Katze. Aber als ich acht wurde, durfte ich reiten lernen! In einem kleinen Verein, wo man nicht das gesattelte Pferd hingestellt bekam, sondern wo man rundum mit anpacken musste. Putzen, satteln, Hufe auskratzen, Stallgasse kehren, ausmisten, Verletzungen versorgen, kranke Pferde pflegen, das hat man uns alles beigebracht. Das war toll! Nicht so toll war, dass die Methoden „natürlich“ die althergebrachten waren: Du musst dem Pferd zeigen, wer hier der Herr im Hause ist. Da sind wir Menschen ja erfinderisch! Vier-, fünfhundert oder mehr Kilo Pferd, wie zeigt man dem, dass man der Boss ist? Als Achtjährige… „Natürlich“ mit Gewalt! Mit Gerte, Gebiss, Härte, nur nicht nachgeben! Und wenn man nicht hart genug war, hatte der Reitlehrer die lange Peitsche in der Hand und half nach. Das brauchte ich bald nicht mehr, denn ich hab‘ mir alles gemerkt, zu Herzen genommen und umgesetzt. Ich wollte alles „richtig“ machen! Und ich bin schnell richtig gut geworden.

Liebe und Gehorsam

Die Pferde waren meine Zuflucht, im Stall fühlte ich mich wohl, ich fühlte mich verstanden und angenommen. Ich liebte diese wunderbaren Geschöpfe wirklich. Und ich setzte Gewalt gegen sie ein, um sie mir gefügig zu machen. Das ist nicht zwingend ein Widerspruch. Man möchte eigentlich nicht, aber es wird einem so vorgebetet. Du musst das so und so machen, damit das Pferd das versteht!
(Spricht man bei Pferden eigentlich immer noch von „es“? Das Pferd… kein Geschlecht… und schon gar kein Individuum…) Später habe ich angefangen mit Hunden zu arbeiten. In einer sehr fortschrittlichen Gruppe, weil wir ja so gar nicht gemein zu den Hunden waren. Das war das, was wir dachten. Wir prügelten schließlich nicht mit Stöcken und zogen sie auch nicht mit dem Würgehalsband auf die Hinterbeine hoch bis sie „aufgaben“, nein, wir nicht! Das tat nur die andere Gruppe, die auf dem selben Platz arbeitete! WIR waren ja sooo viel netter, wir setzten Gewalt nur ein, „wenn es wirklich nötig war“! Wie gesagt, nicht so schlimm, wie die anderen, uns schien es richtig, und so wurde uns das ja auch erklärt. Anschreien, wenn nötig, wenn nicht, langte auch der normale Befehlston, den braucht der Hund, sonst versteht er nicht… Ein kleiner Leinenruck, wenn er zieht. Zieht er trotzdem? Rucke stärker! Was, immer noch? Dann nimm mal den dünneren Würger, damit er es versteht!
Er tut was, was er nicht darf? Serie! Serie hieß: Anschreien! Hilft nicht? Leinenruck! Hilft nicht? Stärkerer Leinenruck! Hilft nicht? Tritt in den Hintern. Und so weiter. Bis er es versteht.
(Spricht man bei Hunden eigentlich immer noch von „er“? Der Hund… da hat er ja schon mal ein Geschlecht, ja, aber er ist eben auch „er“ wenn’s eine Hündin ist… denn DER HUND ist ja auch kein Individuum…)

Es hat funktioniert

Es HAT funktioniert! Zumindest vom menschlichen Standpunkt aus! Ich habe lustlosen Reitschulpferden „die Flausen ausgetrieben“ und mit ihnen wunderschöne Dressuraufgaben gemacht. Ich habe aus „ungehorsamen Tölen“ und Leinenziehern folgsame, bei Fuß laufende Hunde gemacht. Das Gefühl in meinem Bauch, dass da so einiges nicht stimmt, ist nicht irgendwann gekommen. Das war immer da!
Ich erinnere mich, dass ich immer wieder „warum“ gefragt habe. Die Antworten gleichten sich häufig:

Das sind die Antworten, die ich bis heute nicht ertrage. Sie sind ein Ausweis dafür, dass der Mensch, der sie gibt, eigentlich selbst nicht wirklich Ahnung hat!
Ich glaube das Zitat wird Einstein zugeschrieben: Wenn Du nicht erklären kann, was Du tust, dann hast Du es nicht wirklich verstanden.
Dabei fehlt noch der Renner, aber der zieht sich ja wie ein roter Faden durch diesen Text:

Und das ist genau der Punkt.
Wer das sagt, hat es nicht verstanden.
Und nein, die Tiere verstehen es auch nicht!

Funktioniert es wirklich?

In unserer menschlichen Beschränktheit gehen wir davon aus, dass Einschüchtern, Erniedrigung und körperlicher Schmerz dem Tier irgendetwas erklären und dann versteht es.
Nicht verständlich, nicht logisch, aber genauso ganz fest in unseren Köpfen drin.
Denn schließlich funktioniert es ja!
Ja, leider, es hat so den Anschein. Aber… jetzt kommt das aber:
Der Welpe, der vor Freude über den Spaziergang an der Leine zieht, wird geruckt, solange, bis er „ordentlich“ läuft. Funktioniert. Aber eben nicht, weil er es verstanden hat, sondern weil er erfahren hat, dass die Welt zu entdecken, mit uns am anderen Ende an der Leine keinen Spaß sondern Angst macht und Kummer und Schmerz bereitet.
Das Pferd, das vor einem fliegenden Plastiksack scheut, wird „desensibilisiert“. Das sieht dann so aus, dass es in eine Ecke gestellt, festgehalten und solange mit dem Plastiksack berührt und abgerieben wird, bis es nicht mehr reagiert. Funktioniert. Aber es hat eben nicht verstanden, dass es keine Angst mehr zu haben braucht. Es hat verstanden, dass seine Angst zu zeigen keinen Sinn macht, dass es keine Hilfe bekommt, sondern dass der Mensch, dem es gefälligst vertrauen soll, ihn so lange mit dem Plastiksack traktiert, bis es resigniert.
Man nennt das „erlernte Hilflosigkeit“.

Nur unser Standpunkt zählt

Gewalt funktioniert also, wie gesagt aber nur von unserem Standpunkt aus. Deswegen wird sie immer noch so viel angewandt. Manchmal funktioniert das sogar für immer, wenn wir genügend gewaltsam vorgegangen sind, und sie für immer in die Resignation getrieben haben, das ist von Tier zu Tier verschieden. Der eine gibt früher auf und findet sich ab, der andere…
Der andere, der mag sich nicht abfinden. Er kann es einfach nicht verstehen. Der wehrt sich immer weiter, fragt immer weiter „warum?“ und gibt sich mit „weil es so ist“ nicht zufrieden.
Solche Tiere werden dann als dickköpfig, dumm und böse eingestuft. Weil sie es einfach nicht verstehen wollen. Tatsächlich sind wir es, die nicht verstehen. Und dann gibt es noch Tiere, da scheint es zu funktionieren, denn erst mal sind sie fein brav und tun, was man von ihnen will. Die schlucken und schlucken und schlucken, bis es nicht mehr geht, und dann explodieren sie. Die sind dann direkt bösartig und gefährlich, man versteht gar nicht, was ihn sie gefahren ist! Kann man das denn wirklich nicht verstehen, dass einer, der nicht verstanden wird, irgendwann auch verzweifeln und ausrasten kann?

Umsatteln

Nach vielen, zu vielen Jahren in der sogenannten traditionellen Tiererziehung hab‘ ich irgendwann umgesattelt. Warum das so lange gedauert hat? Denn eigentlich bin ich gar nicht so dumm!
Tatsächlich mag unser Gehirn, wenn etwas „eben so ist“ und „wir das immer schon so gemacht haben“. Es will gar nicht gerne umdenken! Das verbraucht Energie. Man muss alte Verbindungen unterbrechen und neue aufbauen, neue Informationen aufnehmen und verarbeiten. Neeee, bloß nicht! Aber ich hatte Glück! Dank der richtigen Informationen von Menschen, die anders mit ihren Tieren umgingen und dem berühmten, steten Tropfen… Irgendwann reichte es aus und das Bauchgefühl, das immer schon da war, hat mir den letzten Stupser in die richtige Richtung gegeben! Ich habe umgedacht, Neues gelernt, Verstehen gelernt. Ich bin immer noch dabei das zu lernen und werde bis zu meinem Lebensende weiterlernen müssen!

Gefühle und Vertrauen

Wenn wir erstmal verstanden haben, dass die Tiere, mit denen wir arbeiten, Gefühle haben, wenn wir sie respektieren und als Freunde ansehen, dann können wir reinen Gewissens gar nicht mehr mit psychischer oder physischer Gewalt arbeiten wollen! Weil wir wollen, dass sie gerne mit uns zusammen sind, dass sie uns vertrauen! Gewaltfrei arbeiten heißt nicht, dem Hund alles durchgehen zu lassen!
Es bedeutet, dass ich wirklich klar sein möchte, fair, verständlich und vertrauenswürdig! Das macht auf beiden Seiten so unendlich viel mehr Spaß! Soviel mehr Spaß, dass sich das Mehr-Denken-Müssen und die notwendige Flexibilität zu erlernen tausendmal lohnt! Und meine persönliche Erfahrung aus beiden Arten der Erziehung ist, dass gewaltfrei besser und nachhaltiger funktioniert als Brüllen, Rucken oder Schlagen.

Ein Hund, der nicht hört

Auf italienisch habe ich vor einiger Zeit einen sehr treffenden Spruch gelesen:
„Un cane che non ascolta è un cane non ascoltato.“
Auf Deutsch: Ein Hund, der nicht hört, ist ein Hund, dem niemand zuhört.
Fangen wir doch einfach an, zuzuhören! Wenn wir gute Zuhörer werden, verstehen wir mehr. Wenn wir verstehen, können wir besser erklären. Und wenn wir richtig erklären, dann werden sie es wirklich verstehen! Endlich!

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Kommentare

6 Antworten zu „Funktioniert Gewalt im Hundetraining?“

  1. Mario

    Wow, wunderbar geschrieben!
    Ich als mit postiver Verstärkung arbeitender Hundetrainer, habe die gleiche „Erleuchtung“ auch vor ein paar Monaten erst gemacht.
    Allerdings nicht beim Training mit Hunden, sondern bei der Überlegung warum wir zwischen Haus und Nutztieren unterscheiden. Letztendlich sind es alle fühlende, emotionale, schmerzempfindene Lebewesen.
    Daher ernähre ich mich fast von heute auf morgen vegan!

  2. Hendrik

    Die Autorin geht nicht einmal darauf ein, wie genau sie denn jetzt ihren Hund erzieht. Reine positive Verstärkung? Funktioniert nicht. Hunde fügen sich im Rudel doch auch untereinander leichte Schmerzen zu, um zu zeigen, wenn jemand seine Grenzen überschreitet. Ich denke, es liegt in der Natur des Hundes durch leichte Schmerzen (ohne Verletzungen) oder andere unangenehme Reize am besten zu lernen (positive Verstärkung kann nebenbei auch angewandt werden). Interessant ist auch, dass die Autorin scheinbar meint, die Gedanken der Hunde lesen zu können. Woher will sie wissen, ob der Hund etwas versteht oder nicht? Ich denke, Hunde sind intelligenter als die Autorin denkt.

    1. Lieber Hendrik,

      Hunde sind untereinander, wenn sie sich kennen und sich vertrauen, sehr zimperlich und fügen sich in der Regel nicht einmal „leichte“ Schmerzen zu. Und wenn du der Meinung bist (und das entnehme ich deinem Post), dass „leichte Schmerzen“ in der Hundeerziehung in Ordnung sind, weil Hunde das auch untereinander machen, dann stelle ich eine Gegenfrage: Es gibt auch Hunde, die sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben und deswegen anderen Hunden nicht nur leichte, sondern starke Schmerzen zufügen. Das machen Hunde untereinander halt auch mal so. Und bist du der Meinung, dass es auch in Ordnung ist, einem Hund in der Erziehung starke Schmerzen zuzufügen oder sich ihm sogar in Tötungsabsicht entgegen zu stellen? Weil Hunde das ja untereinander auch schon mal so machen?

      Unsere Trainer/innen und auch Frau Bigi zeigen, dass eine Hundeerziehung ohne Angst oder Schmerzreize möglich ist. Auch ohne „leichte“ Schmerzen. Und wenn das möglich ist, braucht niemand „leichte“ Schmerzen, um seinen Hund zu erziehen. Und das ist doch eine schöne und erstrebenswerte Sache!

      Liebe Grüße,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

  3. Brigitta Zabresky

    Ich würde dem Herrn Hendrik das Buch von Suzanne Clothier „Es würde Knochen vom Himmel regnen“ sehr ans Herz legen.

  4. Mike

    Es gibt Menschen, die trauen sich nicht zu zeigen, was sie selbst wollen. Was ihnen wichtig ist. Sie geben dem niedlichen Hundeblick nach und übertreiben es mit dem Verstehen und Verbinden.

    Das Ergebnis ist ein beziehungsgestörtes Tier, das nicht in der Lage ist, die Grenzen anderer zu respektieren. Auf der anderen Seite, ein resignierter Mensch, der aufgegeben hat, sich für seine berechtigten Bedürfnisse einzusetzen.

    Das ist dann auch nicht besser, als dem Tier mit Druck und Durchsetzungsvermögen den eigenen Willen aufzuzwingen, ohne dessen Perspektive zu verstehen.

    Es wird immer von „Gewaltfrei“ gesprochen. Ich denke, das ist mißverständlich, denn jeder versteht da etwas anderes drunter. Besser man redet von konkreten Handlungen/Strategien.

    Wenn der Hund etwas tut, was ich definitiv nicht will (z.B. zu meinem Essen laufen und es mir wegessen), dann sollte ich keine Angst haben ihn zu verletzen, wenn ich ihn anzische oder mich streng mit erhobenem Finger vor ihm aufbaue und ihm mit dem Fuß den Weg versperre, damit er „versteht“, dass ich das nicht dulde. Auch ein kurzes wegschubsen mit den 5 Fingerspitzen als Simulation von Hundezähnen sollte im Rahmen sein.

    Oberstes Gebot ist hier das gemeinsame Wohlgefühl in Summe als Ziel zu definieren. In sofern gebe ich Ihnen Recht, dass es kein sinnvolles und erfüllendes Ergebnis ist, wenn das Tier so „funktioniert“, wie wir das wollen. Aber, wenn sich das Tier so verhält, wie wir das definitiv nicht wollen, ist das gemeinsame Wohlgefühl auch nicht gut.

    1. Hallo Mirko,

      vielen Dank für deine Nachricht.

      Wie du dir sicher denken kannst, sehen wir von Hey Fiffi das ein wenig anders ;)
      „Gewaltfreiheit“ ist bei uns recht klar definiert: Verzicht auf bedrohliche oder Schmerzreize. Das heißt, wir verzichten auf Anzischen, Wegschubsen mit den Fingern, usw. Wir haben im Laufe der letzten Jahrzehnte gemerkt, dass diese Reize nicht notwendig sind, um einen Hund zu erziehen. Außerdem können sie üble Nebenwirkungen mit sich bringen.

      Hier auf unserer Plattform erhältst du viele Informationen darüber, wie du stattdessen deinen Hund erziehen kannst. Vielleicht magst du dich ja mal weiter einlesen oder dir sogar ein paar unserer Filme anschauen.

      Liebe Grüße,
      Sonja vom Hey Fiffi-Team

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