Der dankbare Tierschutzhund?

„Dieser süße Hund sucht dringend ein Zuhause, sonst muss er morgen getötet werden“
„Dieses kleine Kerlchen möchte nichts dringender, als endlich seine Traumfamilie zu finden“
„Dieses arme Wesen wünscht sich nichts sehnlicher als ein paar Streicheleinheiten“
Warum es nicht sinnvoll ist, bei zukünftigen HundebesitzerInnen falsche Erwartungen zu wecken. Von Sonja Meiburg

falsche Erwartungen
Foto: Lara Meiburg Photographie

Da sitzt er nun, das kleine Häufchen Elend. „Der muss sofort weg, denn er hat unsere Tochter gebissen!“. Benjis Familie hatte ihn angeschafft, weil sie ja jetzt in Coronazeiten genügend Muße haben, sich um einen Hund zu kümmern. Bei den ZüchterInnen gab es keine Hunde mehr, im Tierheim sind sie nicht fündig geworden, aber es gab da ja noch die Vermittlungsanzeigen im Auslandstierschutz. Von Hunden also, die die Familie vor der Vermittlung nicht kennenlernen konnte.

Sie sind ja sooo dankbar

„Benji wartet sehnsüchtig auf seine neue Familie. Er ist kinderlieb, katzenlieb und mag andere Hunde sehr“. Das klang wie Musik in den Ohren von Benjis zukünftiger Familie. Sie erwarteten, einen kleinen, zuckersüßen, knuddeligen Hund zu sich zu nehmen, der lustig mit den Kindern spielt, die Katzen in Frieden lässt, Besucher munter empfängt und mit seiner neuen Familie durch dick und dünn geht, weil er so dankbar ist, endlich gerettet zu werden. Und natürlich gibt es solche Hunde im Tierschutz! Aber es ist nicht selbstverständlich, dass man ein solches Traumexemplar findet.

Willkommen in der Realität

Die Realität sieht häufig anders aus. Da kommt auf einmal ein verdrecktes, stinkendes Etwas aus einer Box gekrochen, sofern es sich überhaupt aus der Box raustraut. Von der großen Sehnsucht nach einer Familie ist nichts zu spüren. Stattdessen knurrt er gleich mal sämtliche Familienmitglieder an, macht einen dicken Haufen auf den großen Berberteppich und verkriecht sich ansonsten unter dem Sofa und ist nicht dazu zu bewegen, sich im Garten zu erleichtern, geschweige denn einen Spaziergang zu unternehmen. Viele dieser Hunde haben nichts anders kennengelernt als ein Shelter, in dem sie mit anderen Hunden in Konflikt geraten sind, um Futter kämpfen mussten und Menschen nur mal aus der Ferne sahen. Die kommen nun in ein neues Zuhause und sind völlig überfordert mit einer ihnen völlig unbekannten und potentiell bedrohlichen Situation.

Hilfe?

Ein Anruf bei der Tierschutzorga brachte auch keine Hilfe: „Geben Sie ihm einfach etwas Zeit, das wird schon. Falls es nicht wird, gibt es ja immer noch Hundetrainer“. Woher sollen HundeanfängerInnen wissen, was sie nun tun sollen? Wie sie den Hund unter dem Sofa rauskriegen? Woher sollen sie wissen, dass dieser „so unendlich dankbare und kinderliebe“ Hund nicht von den Kindern der Familie zwangsverknuddelt werden möchte? Sind die Menschen vorab geschult worden? Nein! Hat ihnen jemand gesagt, was sie erwarten kann? Nein!

Geplatzte Erwartungen

Und dann kommt, was kommen muss: Der Traum trifft auf die harte Realität. Und jetzt entscheidet es sich: Sind die neuen HalterInnen bereit, eine Menge Zeit, Geld, Liebe und Geduld zu investieren, um den neuen Hausbewohner nach und nach in den menschlichen, für ihn völlig neuen und unheimlichen Alltag zu integrieren? Können sie dem Hund mit viel Wissen und Einfühlungsvermögen zeigen, dass ein Staubsauger keine Höllenmaschine ist und dass der Nachbarshund ihm nicht gleich an den Kragen und brutal um sein Futter kämpfen will? Dazu braucht man eine Menge Know-How. „Der gewöhnt sich schon dran“ funktioniert ganz häufig nicht und manche der „dankbaren“ Hunde bleiben ihr Leben lang ängstlich oder werden sogar aggressiv, wenn sie sich nicht anders zu helfen wissen. Es gibt Hunde, die sich wunderbar einleben und die witzig und spritzig mit ihren Menschen durch den Tag gehen. Aber es ist eben oft nicht der Fall und es ist wichtig, dass den zukünftigen Hundeeltern auch deutlich zu machen! Es ist doch niemandem damit geholfen, wenn so ein armes Würmchen in vier Monaten durch drei Familien gereicht wird.

Appell

Daher mein Appell an alle Tierschutzorganisationen, die ihre Hunde sehr blumig und emotional umschreiben, um Menschen an ihrer wunden Stelle und dem Helfen-wollen-Gen zu erwischen: Macht das nicht! Macht den zukünftigen Hundeeltern bitte klar, was auf sie zukommen kann und fragt, ob sie dazu tatsächlich bereit sind. Und wenn sie dann eher zögerlich sind, lasst ihnen Bedenkzeit. Und wenn sie dann wild entschlossen sind, das Abenteuer zu wagen, lasst die Korken knallen und rollt ihnen gerne den roten Teppich aus! Das sind genau die Leute, die ihr braucht. Die bekommt ihr aber nur, wenn ihr ehrlich seid und keine falschen Erwartungen weckt. Also checkt doch bitte mal eure Vermittlungstexte. Dankeschön.

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Kommentare

7 Antworten zu „Der dankbare Tierschutzhund?“

  1. Alexandra Dierkes

    Danke liebe Sonja,für deine ,mir aus dem Herzen sprechenden Worte! Niemandem ist mit Schönmalerei geholfen! Vorallem nicht den zu vermittelnden Fellnasen. Eine ehrliche Umschreibung und drei,vier Hinweise darauf,wie man den Neuankömmlingen gerecht wird, könnten so manchen Rückläufer verhindern. Nach meiner persönlichen Erfahrung sollte auch das häusliche Umfeld an die Fellnasen angepasst sein. Die Großstadt scheint da nicht so das gelbe vom Ei zu sein!!! Und dann wäre es auch Tierschutz und nicht Vermittlungssucht!!

  2. Sanni

    Dem stimme ich voll zu. Gleichzeitig möchte ich Mut machen. Ich habe aus Spanien einen ca 2 jährigen Mischlingsrüden aufgenommen. Zur Vorgeschichte habe ich nicht viel erfahren können. Er ist ein supersüßer Gnom. Sehr verschmust, anhänglich, konnte schon bald neben der Shettiekutsche freilaufen und zaubert allen- auch nicht Hundemenschen ein Lächeln ins Gesicht. Wie Du schon geschrieben hast: die gibt es auch!

  3. Simone

    Vielen Dank für den Beitrag! Haben selber erst vor 5 Monaten eine Hündin aus Rumänien adoptiert und sind zum Glück ziemlich schnell in FB-Gruppen und im Netz auf Infos von Trainer*innen, die gewaltfrei arbeiten, gestossen. Mich ärgern diese emotionalen und moralisierenden Aufrufe und sicherlich ist das Leben in einem Shelter nicht schön, aber rausgerissen zu werden aus dem Leben, das man kennt und in einer neuen unheimlichen Welt zu landen, ohne selber mitentscheiden zu können, ist sicherlich zu Beginn auch kein Spaß…Viele Grüße – Simone

  4. Onkel Fester

    „ Es ist doch niemandem damit geholfen, wenn so ein armes Würmchen in vier Monaten durch drei Familien gereicht wird.“

    Doch – dem Vermittler. Der zieht mit ein paar hundert Euro ab und lässt den Leuten ein Tier zurück, das mit der Wildnis der Straße sozialisiert wurde.
    Da ist aber nicht der Vermittler allein der Drecksack, sondern auch Leute, die sich hartnäckig weigern, das Hirn einzuschalten.
    Wie gut, dass wir unseren lieben Vorstehhund aus einer vernünftigen, griechischen Aufnahmeeinrichtung bekommen haben :-).

  5. Natacha

    Danke dass das mal jemand anspricht. ich habe vor 1 Jahr einen 4 Monate alten Welpen aus Rumänien adoptiert. die ersten beiden Wochen habe ich sie in Ruhe gelassen damit sie sich an die Umgebung und an mich gewöhnen kann. 2 Monate lang bin ich mit ihr in den Wald gefahren zum Pipi machen weil sie Angst hatte auf Aspahlt zu gehen. Wo andere Welpen bereits die 7 Grundkommandos erlernt haben, war ich damit beschäftigt ihr die Angst vor Alltagssachen zu nehmen. jetzt 1 Jahr danach ist sie immer noch misstrauisch gegenüber fremden Personen, habe viel Geld für verschiedene Trainer aus gegeben und bekomme immer wieder gesagt dein Hund muss das und das noch lernen. Wieso kann sie nach 1 Jahr das und das nicht. Das ist mir egal, ich richte mich nach dem Hund und meinem Bauchgefühl

  6. Yvonne Schleicher

    Meine erste Spanierin zog 2002 ein, seit dem bellt es bei mir spanisch.
    Jeder von ihnen brachte sein eigenes Köfferchen mit und mit jedem habe ich wieder lernen dürfen. Aber eins hatten sie alle gemeinsam: Mit Verständnis, Liebe, Geduld und Zeit entwickelte sich jede/r zu einem Traumhund – jede/r auf seine Weise.

    Pablo ist erst seit dem 19.09.2021 hier, wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber gemeinsam schaffen wir auch den.

  7. Birgit

    Es gibt aber auch Tierschutzorganisationen, die ehrlich sind und dich nicht alleine lassen. Wir haben vor 2 Monaten unseren Hund aus Rumänien bekommen.im Vorgespräch und bei der Vorkontrolle wurden immer die Probleme besprochen die auftreten können. unser Schatz ist auch noch ein Handicap Hund. und wir haben uns nie alleine gelassen gefühlt

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