Der ein oder andere kennt Gino schon aus unseren Videos (Click für Blick, U-Turn ) und meine Wenigkeit von dem ein oder anderen Artikel. Insbesondere für das Video zum Thema Click für Blick und auch zu der dreiteiligen Reihe über Leinenaggression habe ich viel positives Feedback erhalten. An dieser Stelle ein ganz großes „Danke“ dafür und selbstverständlich habe ich jedes Lob an Gino weitergegeben. Viele haben auch über ihre eigenen Hunde und deren Trainingsweg berichtet und daher habe ich mich entschlossen, an dieser Stelle einmal Ginos Geschichte zu erzählen. Von Daniela Maletzki
Dass unser Schwerpunkt beim Thema „Leinenaggression“ liegt und sowohl Gino als auch ich uns bei dem Thema so gut auskennen, hat leider einen ernsten Hintergrund. Gino war einmal ein Leinenrambo. Ein sehr heftiger Leinenrambo. Einer, der beim Anblick wirklich jedes Artgenossen aus der Hose gehüpft ist. Für Gino spielte es keine Rolle, wie der andere Hund sich ihm gegenüber verhielt oder wie er aussah. Ob groß oder klein, dick oder dünn, schwarz oder lila getupft, wenn er selbst angeleint war, fand er andere Hunde sch….. und tat dies lautstark kund. Im Freilauf ein Hund, der Ärger aus dem Weg geht oder sogar schlichtend eingreift, mutierte er an der Leine zum Monster, Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Aber wie kam es überhaupt soweit? Dies ist Ginos (und meine) ganz persönliche Geschichte – einmal Leinenrambo und zurück.
Gino: Das Pottkind
Gino, seines Zeichens Deutscher Schäferhund, wurde 2008 in Essen geboren und ist damit, genau wie ich, ein echtes Pottkind. Das erste Mal auf dem Arm gehalten habe ich ihn, da war er gerade 16 Tage alt und glich eher einem Maulwurf als einem Hund. Verliebt war ich trotzdem und so zog Gino nach vielen vorherigen Besuchen mit 7 ½ Wochen bei mir ein. Bis hierher schien alles perfekt, dachte ich. Ein paar Tage später zeigte sich jedoch, dass Gino nicht ganz so aufgewachsen war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Sah bei meinen zahlreichen Besuchen vorher immer alles vorbildlich aus, so habe ich hinterher erfahren, dass die Welpen schon sehr früh häufig völlig sich selbst überlassen wurden und viel allein waren. Gino hatte noch fünf Geschwister und so gab es sechs Schäferhundwelpen, die sehr häufig nur sich selbst hatten. Diese Welpen werden sich also viel miteinander beschäftigt haben und wenn es Konflikte gab, haben weder Hundemama noch Mensch regulierend eingegriffen. So lag Ginos Fokus auch von Anfang an sehr stark bei anderen Hunden. Sobald uns draußen ein Hund begegnete, war ich abgemeldet. Und weil der Kleine ja so gerne wollte und Sozialisierung in Form von Hundekontakt ja so wichtig ist, habe ich ihn wann immer möglich auch Kontakt aufnehmen lassen. Und schon waren die Weichen für seine spätere Karriere als Leinenrambo gestellt.
Die ersten Fehler
Ich hatte den ersten Fehler gemacht und dieser fiel wie alle, die noch folgen sollten, schon aufgrund der ersten Wochen beim Züchter und auch aufgrund der Rasseeigenschaften (schnell lernender Wach-, Schutz-, und Gebrauchshund) auf fruchtbaren Boden. Natürlich waren wir auch in der Welpenschule. Schließlich musste der Hund ja mit anderen Hunden sozialisiert werden und sollte den Umgang mit möglichst vielen verschiedenen Hunden und Menschen lernen. Meist befanden sich zehn oder mehr Hunde unterschiedlichster Rassen, Mischungen, Größen- und Gewichtsklassen auf dem eingezäunten Gelände. Erst nach einer ausgiebigen Spielphase am Anfang der Stunde wurde nach Größe getrennt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Welpen also dann schon müde bis erschöpft, die Großen hatten die Kleinen schon drei Mal überrannt und nun sollte gelernt werden. Die ersten zwei Stunden klappte das noch ganz gut. Ich war stolz auf meinen kleinen Gino, der so schnell lernte und anscheinend ein Musterschüler war. Dann kamen wir schon nicht mehr ohne Gezerre auf das Gelände (natürlich am empfohlenen Halsband) und schon vorher gab es Unruhe im Auto, wenn Gino merkte, wohin es ging.
Bis dahin war ruhiges Autofahren und Leinenführigkeit eigentlich kein Problem gewesen, aber gut, er war ja aufgeregt und freute sich so sehr.
Die Welpenstunde
Auch der Umgang mit den anderen Hunden änderte sich nun. Gino hatte gemerkt, dass er größer war und auch schneller als einige der anderen. Das “Spiel“ wurde ruppiger. Die Konsequenz bestand darin, dass Gino, wenn er zu ruppig wurde, von der Trainerin aus dem Spiel genommen (also im Grunde wurde er da geschnappt, wo man ihn gerade erwischte) und festgehalten wurde. Inmitten all der anderen rennenden und bellenden Welpen wurde er festgehalten und musste das aushalten. Bald konnte er sich kaum mehr konzentrieren. Übungen, die bisher gut geklappt hatten, nicht mehr ausführen und sein Fokus war auch hier nur noch auf die anderen Hunde gerichtet. Ich war Nebensache. Und beide waren wir frustriert. Eine Giardieninfektion beendete das Ganze dann für ein paar Wochen.
Der Junghundekurs
Anschließend kamen wir dann direkt in den Junghundekurs, da Gino aufgrund seiner Größe nicht mehr in den Welpenkurs sollte (der eigentlich bis zum 6. Monat angelegt war). So war nun also Gino der Kleine und wurde von den größeren Hunden im “Spiel“ überrannt. Endlich hatte auch ich gemerkt, dass Gino die Stunden nicht guttaten, zumal er von der Leistung her auch gar nicht mit Hunden mithalten konnte, die fast doppelt so alt waren wie er. Wir kehrten also dieser Hundeschule den Rücken und kamen vom Regen in die Traufe. Im Jundhundekurs der nächsten Hundeschule durfte Gino auch nicht mitspielen und musste auch hier wieder aushalten. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte Gino andere Hund mit Erregung, Aufregung und Stress verknüpft. Jetzt kam noch das Training über Druck und Zwang hinzu und Gino lernte sehr schnell, dass sich seine Bezugsperson (und andere Menschen) in Gegenwart anderer Hunde wenig nett ihm gegenüber benehmen. Es tut mir heute noch unendlich leid, wenn ich daran denke, was Gino alles über sich ergehen lassen musste und was ich entgegen meines Bauchgefühls getan habe, bzw. was ich zugelassen habe, dass der Trainer tut. Das Maß war voll, als der Trainer Gino bei einer Rückrufübung auf den Rücken drehte, die sogenannte „Alpharolle“ durchführte. Ich befand mich wie bei einer Rückrufübung üblich zu der Zeit schon einige Meter weit weg von meinem Hund, hatte nicht damit gerechnet und war selbst völlig schockiert. Danach haben wir diese Hundeschule nicht mehr betreten.
Das Leben wird schwerer
Zeitgleich gab es auch Veränderungen auf den Spaziergängen, denn je älter und größer Gino wurde und je mehr man ihm den Schäferhund ansah, desto weniger tolerant wurden die anderen Menschen (und Hunde) und bald war es nicht mehr möglich, dass Gino zu den meisten Hunden Kontakt aufnehmen konnte. Das hatte er aber vorher doch so schön gelernt und es wurde auch noch zusätzlich in der Welpenschule, dem Junghundekurs und auf der Hundewiese (ja auch das haben wir hinter uns) gefördert. Gino geriet an der Leine in Hundebegegnungen immer mehr in einen Konflikt aus Hinwollen einerseits und Unsicherheit andererseits. Und alle Versuche von Ginos Seite, diesen Konflikt nett zu lösen, durch Ausweichen, Beschwichtigen und Fiddeln (wird häufig als Spielverhalten missgedeutet) wurden durch mich und die Leine oder teilweise auch durch das Verhalten der anderen Hundebesitzer verhindert. Und irgendwann kann dann der Tag, da war er auf einmal nicht mehr so nett. Plötzlich (nein eigentlich nicht, hätte ich die Zeichen vorher erkannt) reagierte er aggressiv auf die Annäherung eines anderen Hundes und siehe da: Die Leute zogen ihren Hund weg und machten sich schleunigst aus dem Staub. Gino hatte zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass er den Grund für seine Frustration und seinen Stress „verjagen“ konnte. Und Gino ist ein verdammt schlauer Hund und er lernt sehr schnell und das sage ich jetzt nicht nur deswegen, weil er mein Hund ist. Es dauerte nicht mehr lange und Ginos Ausraster traten immer häufiger auf und wurde immer heftiger. Der Spaziergang wurde zum Spießrutenlauf und machte bald keinen Spaß mehr.
Das Ende des Tunnels
Zum Glück gab es Licht am Ende des Tunnels. Schon lange (eigentlich seit meiner Kindheit) hegte ich den Wunsch, beruflich mit Tieren, speziell mit Hunden zu arbeiten. Nach Abitur und Ausbildung in einem Job, in dem ich nie glücklich werden würde, war die Entscheidung für das Studium zur Tierpsychologin für Hunde und die zeitgleiche Ausbildung zur Hundetrainerin gefallen. Das Training, wie wir es bisher erlebt hatten, war ganz entgegen dem, was ich fühlte, wie ich mit meinem Hund umgehen wollte und ich war überzeugt davon, dass es auch anders gehen müsste. Ich hatte das Glück, während meiner Ausbildung wirklich tollen Referenten zu begegne. Hatte ich vorher schon außerhalb der Hundeschule mit Lob, Leckerchen und dem Clicker gearbeitet, so war es mir nun möglich, noch jede Menge mehr über das Training mit positiver Verstärkung lernen zu dürfen. Der endgültige Wendepunkt, weg von Druck und Zwang, stellte ein Seminar über die Ontogense des Hundes bei Ute Blaschke-Berthold dar. Gino, der bisher bei allen Seminaren dabei gewesen war, war auch dieses Mal wieder dabei und gab gleich eine Vorstellung in Sachen „Wie ich gepflegt ausraste“ zum Besten. In diesem Seminar durfte ich lernen, wie man auf nette Art und Weise an einer Leinenaggression trainiert. Von an ging es steil bergauf und schon bald hatten wir mit Hilfe von Click für Blick, Zeigen und Benennen, dem Geschirrgriff und weiteren Trainingstools die Leinenaggression im Griff und mussten uns nur noch um die Feinheiten kümmern.
Stolperstein Gesundheit
Bis der große Einbruch kam. Ginos Verhalten verschlechterte sich wieder. Ich hatte sogar den Eindruck, daß Training auch in anderen Bereichen nicht mehr möglich war. Gino war oft unkonzentriert, schnell gestresst und entwickelte plötzlich auch andere Auffälligkeiten. Hinter jeder Ecke schien er Gespenster zu sehen. Ich vermutete eine Schilddrüsenunterfunktion, was sich letzten Endes auch als richtig herausstellen sollte. Leider dauerte es sehr lange, bis wir eine geeignete Tierärztin fanden, die uns half und Gino mit Medikamenten einstellte. Die Zeit bis dahin glich allerdings unseren Anfängen, bzw. der Zeit vor dem Training und schon wieder machte Gassigehen keinen Spaß mehr. Nachdem Gino gut mit Tabletten eingestellt war, besserte sich dies jedoch schnell wieder und das, was wir uns vorher erarbeitet hatten, war wieder da. Leider spielt uns Ginos Gesundheit bis heute immer wieder Streiche und beeinflusst so auch unser Training, soweit man das überhaupt noch als solches betrachten kann. Denn eigentlich merkt man ihm nicht mehr an, dass es mal ein Leinenrambo war. Eigentlich, denn so zwei bis drei Mal im Jahr gibt es auch heute noch einen Ausraster oder eher das, was davon übriggeblieben ist. Denn Gino bellt höchstens mal kurz und schafft es meist, sich selbst wieder aus der Situation heraus zu nehmen. Für mich sind diese Ausraster ein Indikator dafür, dass es ihm nicht gut geht. Gesundheitliche Aspekte spielen also eine nicht zu unterschätzende Rolle im Training.
Stolperstein Hundehalter
Neben den gesundheitlichen Aspekten haben natürlich auch Gino und ich oft mit der Rücksichtslosigkeit anderer Hundehalter zu kämpfen. Schon mehrere Male ist es vorgekommen, dass unangeleinte Hunde in uns reingelaufen sind, manche nicht mit besonders guten Absichten. Unser bisher schlimmstes Erlebnis in dieser Hinsicht, war der Angriff eines Hundes vor circa drei Jahren. Ich nenne ganz bewusst nicht die Rasse des Hundes, aber körperlich war er Gino weit überlegen, der sich zu dieser Zeit zudem gerade von schwerer Krankheit erholte und auch noch untergewichtig war. Und mit „Angriff“ meine ich genau das. Der Hund kam unangeleint, ohne das geringste Zögern, ohne auch nur die geringste Kommunikation auf Gino zugeschossen und wollte ihn beißen. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich gebe dem Hund überhaupt gar keine Schuld daran. Interessant finde ich allerdings, dass dieser Hund bisher in Begegnungssituationen über Leinenruck und Ausschimpfen für sein aggressives Verhalten bestraft wurde. Da haben wir also quasi am eigenen Leib erfahren, warum es so gefährlich ist, wenn man nur versucht, das aggressive verhalten des Hundes über Strafe zu hemmen und was passiert, wenn einmal nicht mehr die Möglichkeit besteht, hemmend auf den Hund einzuwirken. Gino ist physisch nichts passiert, ich war abends noch im Krankenhaus und habe jetzt eben eine Narbe am Bein. Seitdem differenziert Gino allerdings sehr stark zwischen angeleinten und unangeleinten Hunden und kann die unangeleinten Hunde weniger entspannt ertragen (für Außenstehende wahrscheinlich noch nicht mal erkennbar).
Mein Fazit
Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass es DEN einen Grund dafür, dass Gino zum Leinenrambo geworden ist, nicht gibt. Ich habe viele Fehler gemacht, vieles übersehen oder falsch gedeutet, habe häufig gegen mein Bauchgefühl gehandelt und ich habe zugelassen, dass andere meinem Hund schaden. Aufgrund der Genetik und der nicht besonders guten Aufzuchtbedingungen sind diese Fehler auf fruchtbaren Boden gefallen. Daneben spielt der gesundheitliche Aspekt bei uns leider eine sehr große Rolle und erschwert vieles. Und trotzdem haben wir die Leinenaggression in den Griff bekommen. Soweit sogar, dass ich Gino schon als Trainingspartner im Begegnungstraining für andere Leinenrambos einsetzen konnte. Unser Alltag ist heute entspannt, denn abgesehen von der Leinenaggression und den gesundheitlichen Einschränkungen, ist Gino einfach nur ein Traumhund. Und das, obwohl er wirklich allen Grund dazu gehabt hätte, weit mehr als nur eine Leinenaggression zu entwickeln. Gino, es tut mir so leid. Durch dich durfte ich so viel lernen, du hast so viel dazu beigetragen, dass ich heute so trainiere, wie ich es tue und, dass auch andere Hunde davon profitieren.
Danke, dass du trotz Allem so ein großartiger Hund bist. Ich liebe dich.
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Bildquelle
- Alle Fotos: Daniela Maletzki
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