Beschäftigung – Mehr als nur Auslastung

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Als sich Corinne Keller vor acht Jahren aufgrund der bewegungseinschränkenden Krankheit ihres Hundes mit dem Thema „Beschäftigungsmöglichkeiten für Hunde“ auseinandersetzte, begegneten ihr zwei Extreme: „Der Hund braucht Ruhe, keine Beschäftigung!“ versus „Der muss ausgelastet werden, bis er müde umfällt!“ Das traf sie in ihrer Situation. Sie hatte zum einen ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Hund, weil sie ihm nicht mehr die Bewegung ermöglichen konnte, die er auf Spaziergängen gewohnt war. Und auf der anderen Seite hatte sie Angst, dass sie nicht das rechte Maß an Beschäftigung für ihn finden könnte und ihn so zu einem nervösen unruhigen Geist erziehen würde. Im Laufe der Jahre entdeckte sie jedoch die großartigen Chancen, die in Beschäftigung liegen und erkannte, dass sie dadurch die Möglichkeit hat, sich, ihren Hund und beide als Team zunehmend besser kennen zu lernen und sich vor allem in Achtsamkeit zu üben. Dabei ist Beschäftigung für Corinne zu weitaus mehr geworden als nur Futterbeschäftigung und Spielen. Beschäftigung umfasst für sie alle Formen und Aktivitäten, die sie auffordern, darüber nachzudenken, wie sie ihrem Hund ein bereicherndes Leben an ihrer Seite ermöglichen kann, das seine Sinne fordert und fördert und ihn in seinem Sein stärkt. All das wiederum hat einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf das Vertrauen des Hundes in seinen Menschen und die Verlässlichkeit seiner Bezugsperson

Im Folgenden möchte Corinne einige Gedanken dazu teilen und dir am Ende eines jeden Teilaspekts einen Frageimpuls zur Eigenreflexion mitgeben.

Beschäftigung als ein Angebot verstehen

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Beschäftigung ist ein Angebot an den Hund. Ein Angebot impliziert auch die Möglichkeit, dieses Angebot abzulehnen. Genau das ist aber manches Mal schwer zu akzeptieren. Vieles steht fest auf dem Programm. Der Mensch hat Zeit investiert, sich Gedanken gemacht und ist meist auch überzeugt davon, dass die von ihm ausgewählte Beschäftigung dem Hund Spaß macht. Dadurch bleibt wenig Offenheit für die ablehnenden Signale des Hundes gegenüber dem gemachten Angebot. Oft ist es auch die eigene Freude an der gemeinsamen Aktivität oder das Streben nach Erfolg, was es erschwert zu erkennen, dass die Aktivität oder das Drumherum dem Hund weder Freude macht, noch ein echtes Angebot impliziert. Nicht selten ist die Enttäuschung groß, wenn der Hund nicht enthusiastisch mitmacht oder gar weggeht. Statt die Ablehnung zu akzeptieren, wird der Hund überredet, wenn nicht sogar gezwungen, mitzumachen. Zu verstehen, dass unsere Hunde naturgemäß auch ein Recht darauf haben sollten, Angebote abzulehnen und dass dies nicht eine Ablehnung unserer Person gleichkommt, schafft Raum dafür, seinen Hund zunehmend besser verstehen zu lernen, seine Bedürfnisse gezielter zu erkennen und ihn besser einschätzen zu können. Dies wiederum stärkt das Vertrauen unseres Hundes in uns.

Weißt du, woran du erkennst, dass dein Hund auf das, was du ihm anbietest, keine Lust hat? Und wie reagierst du darauf? Wie könntest du im Sinne deines Hundes reagieren?

Beschäftigungen wählen lassen

Unsere Hunde sind in unseren Alltag und Alltagsrhythmus fest eingebunden. Wir bestimmen zum Beispiel die Fressens-, Schlaf- und Gassi Zeiten, die Spazierwege, das Futter und eben auch, was es wann an Beschäftigung gibt. Unsere Hunde sind dabei so oft wahre Anpassungskünstler und fügen sich in den menschlichen Alltag, um mit ihrem Menschen sein zu können. Gerade Beschäftigung eröffnet so viele Möglichkeiten, unsere Hunde auch einmal wählen lassen zu können. Das Auswählen lassen ist allerdings gar nicht immer so einfach und etwas, das wir auch mit unseren Hunden üben müssen, damit wir sie nicht überfordern. Unser Alltag eröffnet einige einfache Möglichkeiten, unseren Hund wählen zu lassen. Die Auswahl zwischen zwei Kauartikeln, zwei Spielzeugen, zwei Futterbeschäftigungen oder gar das Wählen lassen des Spazierweges, sofern gefahrlos und möglich. Diese Möglichkeit, frei zu wählen, eröffnet auch unseren Hunden eine Form, sich selbstwirksam zu erleben, stärkt das Selbstbewusstsein und erlaubt auch, ihren Bedürfnissen entsprechend zu agieren.

Wo lässt du deinem Hund im Alltag bereits die Wahl? Gibt es Aktivitäten mit deinem Hund, bei denen du weitere Wahlmöglichkeiten für ihn einbauen könntest?

Beschäftigung an die Individualität des Hundes anpassen

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Jeder Hund ist individuell und es bedarf daher auch eines ganz persönlichen Blickes auf den eigenen Hund, auf die Umstände und Bedürfnisse, um zu erkennen, was man anpassen muss, damit es für das eigene Hund-Menschen-Team stimmig ist. Doch wir entscheiden uns für oder gegen etwas auf der Grundlage unserer Erfahrungen und unseres Wissens. Wenn daher noch Erfahrung und Wissen fehlen, sind unsere Entscheidungen nicht immer optimal für unseren Hund.

An einem für mich einschneidenden Erlebnis möchte ich das gerne veranschaulichen: Ich bin zu Beginn meiner Trail Zeit oftmals über 50 Kilometer zum Treffpunkt gefahren und war überzeugt davon, dass mein Hund die Spurensuche liebt. Ich nahm in Kauf, dass er 4-5 Stunden im Kofferraum sitzen musste, dabei in der Wartezeit völlig überdrehte und zunehmend Stresssignale zeigte, weil es ihm schwerfiel, bei all der Aktion um ihn herum zu warten. Schließlich hatte er ja 20 Minuten bedürfnisbefriedigenden Spaß und war irre gut in dem, was er tat. Als mir zunehmend bewusst wurde, dass die Stressdauer in der Wartezeit in keinem Verhältnis zum Spaßfaktor steht, begann ich Faktoren zu verändern. Ich arbeitete am Alleinbleiben im Kofferraum, suchte mir eine kleinere Trail Gruppe in der Nähe, entschied immer relativ kurzfristig, ob wir überhaupt zum Trailen gehen, optimierte für ihn das Verbleiben im Kofferraum und für uns die Abläufe vor Ort. Die Offenheit hinzuzulernen, flexibel zu sein und damit neue Erfahrungswerte und Wissenszuwachs halfen mir, ausgewählte Aktivitäten für meinen Hund so anzupassen, dass sie ein Gewinn für ihn und mich waren.

Gibt es Aktivitäten und Umstände, die du noch mehr an die Individualität deines Hundes anpassen oder gar aufgeben solltest, damit es ihm und dir gut geht? Welche ersten Schritte dorthin könnten das sein? Mit was könntest du beginnen?

Beschäftigungsangebote optimieren

Optimierungen beginnen bereits im Kleinen und können so viel bewirken. Gerade aufgrund der Bewegungseinschränkung meines Hundes achte ich sehr gezielt darauf, die Grundlagen für eine gefahrlose Aktivität zu ermöglichen und die Erregung nicht unnötig in die Höhe zu treiben, da dies bei ihm immer in hektischen und für ihn ungünstigen Bewegungen gipfelt.

Schon bei der Vorbereitung für Aktionen wie eine Futterbeschäftigung oder Trickaktion kann der Platz entsprechend so vorbereitet werden, dass keine versteckten Gefahren lauern: Dinge aus dem Weg stellen, Antirutschmatte auf das Laminat, Bereitlegen aller Utensilien, um die Wartezeit nicht unnötig in die Länge zu ziehen usw. Es ist ebenso empfehlenswert, ähnlich wie bei Fitnessstunden für den Menschen, auch bei Hunden darauf zu achten, bei schnelleren oder ruckartigen Aktionen eine Aufwärmübung voranzustellen und Übungseinheiten generell mit einem sogenannten Cooldown zu beenden. Dafür eignet sich bei vielen Hunden ein einfaches und leichtes Suchspiel nach Futter oder eine aktionsreduzierte, leicht zu bewerkstelligende Übung (außerhalb des Gehorsamstrainings), die der Hund bereits kann wie zum Beispiel ein Handtarget, um über diesen Weg begleitet und langsam runterzufahren.

Wo kannst du euren Übungsbereich und eure Abläufe optimieren? Was bietet sich bei euren Aktivitäten als Warm-up an, was als Cool-down?

Beschäftigung mit Freude verbinden

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Es gibt viele weitere Aspekte, die ich noch aufzählen müsste, um zu zeigen, wie Achtsamkeit bei der Suche nach bereichernden Aktivitäten für unsere Hunde die Qualität dieser Beschäftigungen steigert, doch dazu würde es eines Buches bedürfen. Deswegen möchte ich mit diesem letzten Punkt schließen.

Freude ist das, was bei der Suche nach und Umsetzung von geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten an oberster Stelle stehen sollte – und zwar Freude für unseren Hund und für uns. Wenn wir das Leben unserer Hunde mit Beschäftigungen und Aktivitäten bereichern wollen, die ihre Sinne anregen und ihre Fähigkeiten fördern, dann sollten wir die Individualität und die Bedürfnisse unserer Hunde im Blick haben. Neben dem persönlichen Pflicht-Programm, welches genauso durch die Individualität aller Beteiligten und des Umfeldes geprägt ist, sollte es auch immer einen Raum geben, der uns die Freiheit ermöglicht, etwas mit Spaß und Leichtigkeit, ohne Zwang und Vorgaben auszutesten. Sich dabei auch einmal von den eigenen Vorstellungen zu befreien, wie etwas zu sein hat, weitet den Blick für die Lösungsmöglichkeiten und Stärken unserer Hunde. Sich auf die Strategien unserer Hunde einzulassen, kann gewinnbringende Erkenntnisse ermöglichen, aus denen sich wiederum für den Alltag hilfreiche Stützen entwickeln können.

Beispielsweise habe ich über Futterbeschäftigungen gelernt, dass mein Hund gerne mit Futter gefüllte Dinge zerrupft. Diese Vorliebe habe ich erfolgreich in unsere Spaziergänge integriert: Wenn mein Sichtjäger an Hasen oder Vögeln ungebremstes Interesse zeigt, fliegt unter Signal eine mit Nassfutter gefüllte Papiertüre zum Jagen und Zerfetzen.

Weißt du, was deinem Hund Spaß macht? Kennst du seine bevorzugten Lösungsstrategien? Wo könntest du diese Vorlieben nutzen und in den Alltag oder ins Training für euch nutzbar machen? Wo wiederum zeigt es dir, dass du deinen Hund an neue Strategien heranführen könntest?

Dieser Beitrag ist Teil der Blockparade 2019, die vom 10. Oktober bis zum 13. November unter dem Motto „Fair statt fies“ den fairen und achtsamen Umgang mit unseren Hunden durch verschiedene thematische Beiträge thematisiert.

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