Als der Kuchen zum Opfer wurde, oder:
„Mein Hund hat den Kuchen vom Tisch geklaut – Bericht aus einem Hundetrainerhundeleben“
Das war es dann wohl mit dem Kuchen… Stella wird im August zehn Jahre alt. Seit knapp neun Jahren ist sie bei mir – und hat noch nie (niemals nie nicht!!!) etwas vom Tisch geklaut. Doch am Wochenende, da war es soweit. Ich war in der Küche und hörte nur, wie meine Mutti im Wohnzimmer entsetzt erst laut „ABBY!!!“ rief und dann schnell „STELLLAAAAA!!!!“ Abby lag nämlich ganz brav hinter mir in der Küche und vor lauter Aufregung hat meine Mutter wohl die Namen verwechselt. Ich eilte ins Wohnzimmer, wo der Kaffeetisch reichlich gedeckt – und der Kuchen nur noch ein Krümel seiner selbst war. Stella hatte sich bedient und von dem leckeren Rhabarber-Streuselkuchen sämtliche Streusel weggefuttert.
Emotionen über Emotionen… Von Susanne Bretschneider
Ich muss ehrlich gestehen: Ich war im ersten Moment wütend. Und schockiert. Schließlich ist mir so etwas noch nie passiert. Und das auch noch mit meiner Familie, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die Mühe, die sich meine Mutti gemacht hatte – landete einfach im Biomüll. Ich habe Stella erst einmal auf ihren Platz geschickt, damit wir alles aufräumen konnten. Typische Aussagen sind natürlich auch hier gefallen: „Warum klaut sie denn? Das hat sie ja noch nie getan! So was macht man doch nicht! Sie ist doch sonst so gut erzogen! Hoffentlich hat sie ein schlechtes Gewissen!“ Stella verstand die Welt nicht mehr. Aus ihrem Gute-Laune-Puderzucker-Schnuten-Gesicht wurde ein verunsicherter Ausdruck mit angelegten Ohren und häufigem Schnauzelecken und Blickabwenden. Ah JA! DA ist es also, das schlechte Gewissen.
Hat Stella ein schlechtes Gewissen?!
Nein! Stella hatte kein schlechtes Gewissen! Sie war verunsichert, weil wir uns plötzlich so anders verhalten haben. Wir haben sie nicht ausgeschimpft. Aber wir waren aufgeregt und all unser Augenmerk lag auf der Diebin. Gerade Stella als sensibles Mädchen lässt sich dadurch sehr leicht beeindrucken und auch ängstigen. Für uns Menschen, die geprägt sind von Moral, Anstand und Meins und Deins, ist völlig klar: Stella hat ein schlechtes Gewissen und deswegen sieht sie so bedröppelt aus. Dabei hat sie nichts anderes getan, als Beschwichtigungssignale zu senden. Die Interpretation von schlechtem Gewissen ist ziemlich vermenschlichend. Nimmt man die Körpersprache aber auseinander und analysiert ganz trocken, ist Stella einfach verunsichert gewesen.
Es ist deine Schublade!
Wir Menschen stecken dieses Verhalten „Sich an herumliegendem Essen bedienen“ in eine Schublade, die sehr negativ besetzt ist. Klauen, stibitzen, entwenden… so etwas tun wohlerzogene Menschen nicht. Gut erzogene Hunde natürlich auch nicht. Und wer beklaut wird, der fühlt sich natürlich auch verletzt – und nimmt dieses Verhalten persönlich. Dein Hund respektiert dich nicht. Er beklaut dich. Wer würde da nicht böse auf seinen Hund sein? Bei wem kommt da nicht das Bedürfnis nach Strafe auf?
„Diebstahl“ mal ganz nüchtern aus Hundesicht betrachtet
Essen in freier Natur liegt nicht einfach herum. Wenn es herumliegt, gehört es niemandem. Es kann sich also jeder, der es findet, daran bedienen. Egal ob das der Wolf draußen in der freien Natur ist oder unser Haushund – beide sind von äußeren Einflüssen abhängig, ob es etwas zu fressen gibt oder nicht! Der Wolf muss erfolgreich jagen gehen – und unser Hund hoffen, dass sein Mensch an ihn denkt. Eins haben beide gemeinsam: Sie sind Opportunisten! Sie nutzen Gelegenheiten! Wenn etwas Fressbares gefunden wird, das augenscheinlich von niemandem bewacht oder gar beschützt wird – dann ab in den Rachen! Alles andere macht aus der Überlebensperspektive keinen Sinn! Dein Hund kann also gar kein schlechtes Gewissen haben – alleine schon, weil er aus seiner Sicht nichts falsch gemacht hat! Dein Hund hat keine falsche Moral oder den Anstand verloren. Weil dein Hund beides nicht besitzt. Er ist schließlich kein Mensch, sondern ein Hund, der etwas Fressbares gefunden hat.
Meine Schublade!
Ich bin Hundetrainerin. Und trotz meines Fachwissens war auch ich erst einmal emotional bedient. Warum, wieso, weshalb, was habe ich falsch gemacht? Innerhalb weniger Minuten habe ich mich aber auch beruhigt und erst einmal in Ruhe erklärt, dass Stella nicht geklaut hat. Sie hat sich an frei verfügbarem Essen bedient. Warum sie da noch nicht früher drauf gekommen ist, bleibt mir zwar schleierhaft, aber ich akzeptiere es so. Stella ist ein wunderbarer Hund. Ich sehe für unsere persönlichen Umstände keinen Trainingsbedarf, weil wir ein megatolles Team sind. Ich habe mich erst einmal dazu entschlossen, Management zu machen und einfach nichts Essbares mehr auf dem Tisch unbeaufsichtigt liegen zu lassen.
Bildquelle
- Alle Fotos: Petra Laible
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